Die Ursache der Katastrophe, der der englische Schnelldampfer Titanic auf seiner ersten Amerikareise mit über 1600 Menschen zum Opfer fiel, waren erstens das starke Auftreten von Eisbergen, die in diesem Frühjahr die Schifffahrt besonders gefahrvoll machten, und zweitens die Rekordsucht, die den Kapitän Smith veranlaßte, trotz der drahtlosen Warnungen, die er empfangen hatte, mit voller Kraft in der gefährdeten Route weiter zu fahren.
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Der von der grönländischen Ostküste ausgehende Polarstrom führt die durch ihre Schwere abgebrochenen Gletscherzungen von der grönländischen Küste an Neufundland vorüber in die Schiffslinien von Europa nach Newyork. Diese Eisberge haben zum Teil eine Gesamthöhe von 700-800m; über der Wasseroberfläche befindet sich nur 1/7 des Berges, der zumeist in Nebel gehüllt und daher nur schwer zu sichten ist. Das Nahen von Eisbergen kündigt sich aber durch ein rasches Fallen des Thermometers an, und eine erfahrene Schiffsführung nimmt daher fortwährend Temperaturmessungen des Wassers vor. Der Schiffskoloß der Titanic von 46 828 Ton. fuhr aber mit voller Kraft, also mit Schnellzugsgeschwindigkeit in der Eisbergzone und stieß daher auf den unter Wasser befindlichen Teil eines großen Eisbergs mit solcher Stärke auf, daß weder Schotten noch Doppelboden den Untergang aufzuhalten vermochten; das gewaltige Schiff sank mit 1645 Menschen 2 ¼ Stunden nach dem Zusammenstoß, und die durch drahtlose Telegraphie zu Hilfe gerufenen Schiffe Virginian, Olympic und Baltic vermochten nur 745 Menschen aus den Rettungsbooten aufzunehmen. Von dem Ozeanriesen Titanic fanden nur noch wenige schwimmende Trümmer.
Dieser Artikel erschien zuerst in Reclams Universum Weltrundschau 15.-21.04.1912
Der untergegangene Riesendampfer Titanic
White-Star-Dampfer Titanic, das größte Schiff, der Welt, ging infolge eines Zusammenstoßes mit einem Eisberg auf seiner ersten Fahrt von Southampton nach Newyork auf 41° 46‘ n. Br. und 50° 14‘ w. L. unter (siehe auch die nebenstehende Karte). Der Ozeanriese, der 280 m lang und 30 m breit war und sieben Decks übereinander hatte, konnte 5000 Passagiere und 900 Mann Besatzung fassen. Er übertraf an Luxus und Eleganz der Ausstattung alle bisherigen Schiffe. An Bord befanden sich eine Turnanstalt, ein Tennisplatz, eine Rollschuhbahn, ein Wintergarten mit Blick aufs Meer, ein Schwimmbad, ein Radfahrplatz, ein Tanzsaal, Theater, Restaurants, Cafés, eine Galerie von Kaufläden usw. usw.; die Luxusappartements für die reichen Amerikaner waren mit größtem Raffinement ausgestattet. Der Komfort dieses Schiffes und sein ruhiger Seegang gaben ihm den Charakter eines mächtigen schwimmenden Sanatoriums. Schon auf ihrer ersten Fahrt außerhalb der Saison hatte sie 1400 Passagiere an Bord, darunter die bekanntesten Namen der amerikanischen Plutokratie, wie den Oberst J. J. Astor, den Präsidenten der White-Star-Line Ismay, den Kupferindustriellen Benjamin Guggenheim, den Philanthropen Isidor Straus, den Straßenbahnmagnaten George D. Widener, ferner den bekannten Friedensschriftsteller Stead u. v. a.
Benutzt werden diese Luxusdampfer namentlich von solchen Passagieren, denen Zeit Geld ist. So pflegen z. B. die vielen amerikanischen Kaufleute, die lediglich zwecks Einkaufs für die nächste Saison nach Europa reisen, mit diesen schnellen Dampfern zu fahren. Am sechsten Tage nach der Abfahrt von Newyork sind sie in London, dann geht es weiter nach Paris, Wien und Deutschland. Alles ist innerhalb acht Tagen erledigt. Hierauf schiffen diese Reisenden sich wieder ein, benutzen die Rückreise zur Erholung, und treffen nach 18-20 Tagen in Newyork ein. Die Kosten eines Dampfers von den Dimensionen der Titanic belaufen sich auf 30 Millionen Mark. Seine Geschwindigkeit betrug 20 Knoten. Nun ruht das stolze Schiff mit 1645 Menschen und einer Ladung im Werte von vielen Millionen als Opfer der Rekordsucht dreitausend Meter tief auf dem Meeresgrund.
Dieser Artikel erschien zuerst in Reclams Universum Weltrundschau 15.-21.04.1912.
Titanic
Einen Schrei des Entsetzens hat das grauenvolle Schicksal des schwimmenden Palastes der Titanic und seiner Passagiere der Kulturwelt erpreßt. Das Unglück wirkte um so niederschmetternder, als es nicht ohne Verschulden der Verantwortlichen möglich geworden ist. Die Schnelligkeitsrekordwut ist der eine Angeklagte in dieser Sache, die Luxussucht der zweite, jener Wahnsinn, der den Plutokraten dieser Welt einreden will, sie vermöchten nicht fünf Tage ihres Lebens ohne Tennisplatz, Schwimmbassin, Bars und Cafés zu leben, anstatt darauf bedacht zu sein, das höchste Gut der Reisenden, ihr Leben, durch eine genügende Anzahl von Rettungsbooten zu sichern. Wenn alle die in diesem Falle durch eine unverzeihliche Unterlassungssünde der White-Star-Line Geschädigten ihre Ansprüche auf Entschädigung durch die Gerichte gegen jene Schiffahrtsgesellschaft geltend machen, so wird das wohl dem vollen finanziellen Ruin dieser Gesellschaft gleichkommen. Es ist ganz fraglos, daß in dem Punkte der Rettungsvorrichtungen und vor allem in dem der erheblichen Vermehrung der obligatorischen Zahl der Rettungsboote unverzüglich neue und strenge Reformen auf internationalem Wege durchgeführt werden müssen. Der Gedanke, daß jene untergegangenen 1600 Menschen hätten gerettet werden können, wenn nur Boote in ausreichender Zahl zur Hand gewesen wären, ist geeignet, einen wahren Sturm der Empörung zu entfesseln.
Dieser Artikel erschien zuerst in Reclams Universum Weltrundschau 15.-21.04.1912 in der Rubrik Politik und Völkerleben, er war gekennzeichnet mit „Spectator“
Die Bilder „Carpathia“ und „Der Untergang der Titanic“ erschienen mit ihren jeweiligen Bilduterschriften zuerst in Reclams Universum Weltrundschau 22.-28.04.1912