Von Professor Dr. Georg Steindorff (Leipzig). Hart an der Grenze von Asien und Afrika, da, wo sich beide Erdteile fast miteinander berühren, hat vor kurzem in der ägyptischen Hafenstadt Port Said die Enthüllung des Denkmals stattgefunden, das, von der Meisterhand des französischen Bildhauers Frémiet geschaffen, das Andenken des genialen Schöpfers des Suezkanals, Ferdinand von Lesseps‘, für alle Zeiten auch im Bild festhalten soll.
Daher ist es jetzt wohl an der Zeit, einen Rückblick zu werfen auf das gewaltige Werk, das nunmehr ein Menschenalter hindurch dem Weltverkehr dient.
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Als Lesseps im Jahr 1854 dem damaligen Vizekönig von Aegypten, Said Pascha, das Projekt der Schöpfung einer neuen Weltstraße vorlegte, war die Idee, eine Verbindung zwischen dem Roten und dem Mittelländischen Meer herzustellen, nicht neu. Bereits im Altertum, etwa zu Beginn des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts, hatte der ägyptische König Necho den Versuch gemacht, einen schon damals bestehenden Kanal, der sich vom Nil ostwärts abzweigte und durch das Land Gosen floß, bis zum Roten Meer weiterzuführen und dadurch seinen Schiffen die Möglichkeit zu schaffen, ohne Unterbrechung vom Mittelmeer aus in die südlichen Gewässer zu fahren. Eine große Menge von Arbeitern wurde beim Bau angestellt; nach einem von Herodot überlieferten Bericht sollen allein 120 000 Menschen dabei umgekommen sein. Aber noch vor seiner Vollendung wurde das Werk auf Befehl des Pharao wieder abgebrochen, da durch ein Orakel geweissagt worden war, daß der Kanal nicht Aegypten zu gute kommen, sondern lediglich der Herrschaft der Fremden, der Barbaren – man dachte dabei wohl an die immer mächtiger werdenden Babylonier – vorarbeiten werde. Erst als das Nilthal zu einer Provinz des Perserreichs geworden war, wurde ein Jahrhundert später der Plan des Necho wieder aufgenommen und nunmehr auch wirklich zu Ende geführt. Noch heute stehen mehrere der steinernen Gedenktafeln, die der Perserkönig Darius nach der Fertigstellung des Kanals an den Ufern hatte aufstellen lassen um die Größe seiner Arbeit und zugleich den Ruhm seiner Herrschaft zu verkünden. Jahrhundertelang blieb diese Wasserstraße in Ordnung, ja sie wurde sogar von den griechischen Beherrschern Aegyptens aus dem Hause der Lagiden, die den Handel sehr begünstigten, noch weiter ausgebaut und an der Stelle, wo sie ins Rote Meer mündet, mit großen Schleusenanlagen versehen. Als dann in der römischen Kaiserzeit das Bett des Kanals verfallen war, ließ es der Kaiser Trajan wiederherstellen und auch die ersten arabischen Herrscher haben dem Kanal ihre Sorgfalt zugewendet. Konnten sie doch auf ihm vom Nil aus ihr Getreide ohne Schwierigkeiten gradeswegüber das Rote Meer nach dem arabischen Mutterland befördern. Seit dem achten Jahrhundert kam der Kanal von neuem in Verfall, und sein Wasserweg wurde nicht mehr befahren.
Während des Mittelalters tauchten nun verschiedene Pläne auf, die Landenge von Suez zu durchstechen. Vornehmlich waren es die Venezianer, die durch ein solche Unternehmen ihren Handel neu beleben und sich einen kürzeren Seeweg nach Indien, als der ums Kap der Guten Hoffnung war, schaffen wollten. Aber an die Ausführung dieser Projekte ging man nicht. Da war es 1671 kein Geringerer als der Philosoph Leibniz, der den Gedanken von neuem aufnahm und dem mächtigsten Fürsten seiner Zeit, Ludwig XIV., neben dem Plan einer Expedition nach Aegypten auch den Vorschlag einer Durchstechung des Isthmus unterbreitete. Doch auch von dieser Seite wurde nichts zu seiner Verwirklichung gethan. Erst als Napoleon Bonaparte im Jahr 1798 das Land der Pharaonen unter französische Herrschaft gebracht hatte, trat man auch dem Projekt, das Mittelländische Meer mit dem Golf von Suez zu verbinden, wieder näher. Französische Ingenieure wurden beauftragt, die Möglichkeit eines solchen Unternehmens zu berechnen. Ihr Gutachten fiel aber sehr zurückhaltend aus, da man von der Annahme ausging, daß der Spiegel des Roten Meers ziemlich zehn Meter unter dem des Mittelmeers liege und daher zahlreiche und kostspielige Schleusen zur Regelung des Wassers errichtet werden müßten.
Es ist das grosse Verdienst des englischen Leutnants Waghorn, darauf hingewiesen zu haben, daß die Berechnungen der französischen Ingenieure auf Irrtum beruhten, daß vielmehr der Meeresspiegel auf beiden Seiten der Landenge nicht wesentlich voneinander abwiche und daher diese Ausführung eines Kanals über den Isthmus wohl möglich sei. Er legte seinen Plan dem thatkräftigen Beherrscher Aegytens, Mehemet Ali, im Jahr 1830 vor, doch dieser ließ sich nicht von der Richtigkeit der Waghornschen Aufstellungen überzeugen und zog es vor, den Handel des Nilthals durch den Bau einer Bahn von Alexandrien nach Kairo und von da weiter durch die Wüste nach Suez zu heben. Da kam 1836 der Franzose Ferdinand von Lesseps als Beamter des französischen Generalkonsulats nach Kairo; auch er hatte sich mit dem Projekt der Herstellung eines Suezkanals beschäftigt und wurde durch Waghorn, dessen Bekanntschaft er in Aegypten gemacht hatte, in seinen Ideen noch mehr angefeuert. Aber erst nach langen Arbeiten legte er 1854 dem damaligen Vizekönig Said seinen Plan vor und erhielt am 5. Januar 1856 die Konzession, den Kanal zu bauen. Nunmehr wurde durch Lesseps die „Compagnie Universelle du Canal Maritime de Suez“ ins Leben gerufen und ihr das Monopol übertragen, in grader Linie eine Wasserstraße über den Isthmus zu bauen. Aber nur langsam floß das Kapital zusammen, und vor allem von Seiten der Engländer wurden dem jungen Unternehmen alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt. Erst am 22. April 1859 konnte man mit den Arbeiten beginnen; aber auch jetzt konnte es nur durch das große Entgegenkommen des Vizekönigs, dessen Interesse an dem Kanal nie erlahmt war, weiter gefördert werden. Er stellte nicht nur weiteres Kapital zur Verfügung, sondern überließ auch zum Bau 25 000 einheimische Arbeiter, die alle drei Monate abgelöst wurden und nur eine geringe Bezahlung erhielten. Zunächst wurde ein besondrer Kanal angelegt, der den Spuren des alten Dariuskanals folgte und die zahlreichen Arbeiter mit Wasser versorgen sollte; bis zu seiner Vollendung, die erst 1865 erfolgte, mußten Kamele das nötige Wasser herbei schaffen, und hierfür allein wurden nicht weniger als 56 000 Franken monatlich verausgabt. Wir wollen hier nicht im einzelnen dem Fortgang der Arbeiten folgen und nicht alle die Schwierigkeiten erzählen, mit denen Lesseps immer von neuem zu kämpfen hatte. Im Frühling 1869 war das gewaltige Werk soweit gediehen, daß Wasser des Mittelländischen Meers in die nördlich von Suez gelegenen Bitterseen eingelassen werden konnten. Es blieb jetzt nur noch übrig, diese flachen, sehr versumpften Gewässer tief auszubaggern. Endlich nach mehr denn zehnjähriger Arbeit war der Kanal vollendet, und im November 1869 konnte der neue Bosporus zwischen den beiden Erdteilen Asien und Afrika dem Weltverkehr übergeben werden.
Nicht weniger als 19 Millionen Pfund Sterling, d. h. beinah 400 Millionen Mark hatte der Bau des Werks verschlungen. Etwa zwei Drittel dieser Summe war durch Aktienzeichnungen, namentlich in Frankreich, aufgebracht worden, während das letzte Drittel fast ausschließlich von dem Vizekönig von Aegypten, natürlich gegen Lieferung von Aktien, gedeckt worden war. Als dann aber durch die Verschwendungssucht Ismaill Paschas, des Nachfolgers Saids, die Schuldenlast des ägyptischen Herrschers mehr und mehr wuchs, wurde er gezwungen, allmählich seine Kanalaktien zu veräußern. Schon im Jahr 1873 kaufte ihm die englische Regierung 177 000 Aktien für 4 Millionen Pfund Sterling ab, und auch das Wenige, was ihm noch übrig geblieben war, wurde in späteren Jahren unter dem Druck der Verhältnisse, auch diesmal wiederum an England, abgegeben. So ist allmählich die britische Regierung zu einem der Hauptbesitzer des Suezkanals geworden und hat sich dadurch, was ihr durch die hohe Politik nicht gelungen war, allmählich einen wesentlichen Einfluß auf die Verwaltung dieser Fahrstraße gesichert.
Gewiß sah man bei der Eröffnung des Kanals nicht ohne Befürchtungen in die Zukunft. Würde er wirklich für die Schiffahrt das bieten, was die Suezkanalkompagnie und ihr Gründer Lesseps von ihm erwarteten? Würden auch große Schiffe, ohne Gefahr aufzulaufen, die neue Fahrstraße benutzen können? Würde sich vor allem der Schiffsverkehr so heben, daß sich das Aktienkapital in befriedigender Weise verzinsen würde?
Daß der neue Isthmus für den Weltverkehr eine ungeheure Erleichterung bedeutete, lag von vornherein auf der Hand. Während früher ein Schiff, das von Hamburg aus um das Kap der guten Hoffnung nach Bombay fahren wollte, 11 220 Seemeilen zurückzulegen hatte, konnte es jetzt, durch den Kanal von Suez, sein Ziel mit nur 6420 Seemeilen erreichen, also mit Benutzung der neuen Fahrstraße 43 Prozent des Weges ersparen. Hatte man bisher von London nach Hongkong 13 352 Seemeilen gehabt, so waren es jetzt nur noch 9672, also 28 Prozent weniger als früher. Was hier an Zeit, an Arbeitsmaterial und an Kohlen von den Schiffen erspart wird, bringt reichlich die Kosten, die für die Durchfahrt durch den Kanal zu erlegen sind, auf.
Und diese Kosten sind nicht gering. Jeder Handelsdampfer und jedes Kriegsschiff, gleich welcher Nation es angehört, hat jetzt die Summe von 9 Franken für die Nettotonne zu entrichten. Hinzu kommt noch eine Taxe für die Passagiere, und zwar muß für jeden Erwachsenen 10 Franken, für ein Kind von 3-12 Jahren 5 Franken bezahlt werden; nur Kinder unter 3 Jahren sind frei. Was bei dieser Berechnung einem großen Schiff die Fahrt durch den Kanal zu stehen kommt, mag daraus ersehen werden, daß der neue Dampfer des Norddeutsche Lloyd „König Albert“, der im Oktober seine erste Reise von Bremen nach Ostasien angetreten hat, für die Durchfahrt nicht weniger als 68 000 Mark zu bezahlen hatte. Trotz dieser großen Kosten ist der Verkehr beständig gewachsen und nimmt noch jetzt von Jahr zu Jahr zu. Im ersten Jahr nach der Eröffnung hatten nur 486 Schiffe mit 493 911 Tonnen den Kanal durchfahren, im Jahr 1896 nicht weniger als 3409 Schiffe mit 12 039 895 Bruttotonnen.
Diese Zahlen sprechen deutlicher als Worte für die große Bedeutung, die der Suezkanal im Laufe der Jahre für den Weltverkehr gewonnen hat.
Unter den Nationen, die ihre Dampfer durch diese Verkehrsstraße entsandten, steht England in erster Reihe. Die Zahl seiner Schiffe betrug 1896 allein 2162. Nächst Englands Flagge wurde aber am häufigsten die unserer Handels- und Kriegsflotte gezeigt; nicht weniger als 322 Schiffe fuhren unter ihr durch den Kanal. Dann erst folgt Italien mit 230, Frankreich mit 218, Holland mit 200, Oesterreich mit 70 Schiffen. Was uns aber mit großem Stolz erfüllen kann, ist der Umstand, daß keine andere Schiffahrtsgesellschaft mit einer größeren Tonnenzahl beteiligt ist als unser „Norddeutscher Lloyd“. Lediglich um seinen großen Handelsdampfern die Fahrt durch den Kanal zu erleichtern, hat sich darum auch die Suezkanalkompagnie entschlossen, die Tiefe des Kanalbetts, die ursprünglich nur 8 Meter betrug, auf 9 Meter bringen zu lassen. Auch dadurch ist neuerdings die Wichtigkeit der deutschen Schiffahrt und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Suezkanals anerkannt worden, daß zu erstenmal seit dem Bestehen der Gesellschaft ein Deutscher, und zwar einer der Direktoren des „Norddeutschen Lloyd“, in den Aufsichtsrat der Kompagnie gewählt worden ist, wo er jetzt seine Stimme zu Gunsten der vaterländischen Interessen erheben kann.
Das Kapital, das vor vierzig Jahren nur zögernd zur Durchstechung des Isthmus gegeben worden ist, hat jetzt überreiche Zinsen getragen, und die Erträgnisse des Kanals mehren sich noch zusehends. Allerdings erfordert seine Instandhaltung bedeutende Anforderungen; es ist nicht nur ein großes Beamten- und Arbeiterpersonal zu besolden; beständig müssen Baggerarbeiten vorgenommen werden, Ausbesserungen an den Böschungen sind zu machen, und die schon erwähnte Vertiefung des Betts, die Millionen kostete, ist ohne eine neue Anleihe vollzogen worden. Aber was wollen alle diese Ausgaben, die sich im Jahr 1896 auf fast 26 Millionen Franken beliefen, bedeuten gegenüber den Einnahmen, die in dem gleichen Jahr eine Höhe von 82 222 825 Franken erreichten!
Aus diesem reichen Gewinn zieht freilich Aegypten, für das einst der Vizekönig Said Pascha, der hochherzige Gönner Ferdinand von Lesseps‘, die besten Vorteile erhofft hatte, den geringsten Anteil. Freilich ist an der Ostgrenze des Landes, an den Ufern des Kanals, in der letzten Hälfte unseres Jahrhunderts ein neues Leben erblüht. Die Stadt Suez, früher nur ein armseliger Flecken, ist namentlich während des Kanalbaus aufgeblüht und hat große, schöne Hafenanlagen erhalten. Aber es ist doch nicht gelungen, den Handel dorthin zu ziehen und hier ein neues Alexandrien zu schaffen. Die Entwicklung der Stadt ist allmählich wieder zurückgegangen, die Hafenbassins stehen oft leer und verfallen wieder. Am Ufer des tiefblauen Timsahsees, durch den der Kanal hindurchführt, ist eine neue Stadt erstanden, die nach dem letzten Protektor Lesseps‘, dem Chedive Ismail, den Namen Ismailije erhalten hat. Früher herrschte auch in ihr reges Leben; doch hat es den Anschein, als wenn auch diese saubere Beamtenstadt nicht recht lebensfähig wäre, und wer durch die stillen Straßen mit ihren hübschen Gärten und schattigen Baumalleen wandelt, kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß der Tag nicht zu fern liegt, wo auch Ismailijes bescheidener Glanz verblassen wird. Nur die Hafenstadt Port Said am Mittelländischen Meer nimmt an Bedeutung für den Schiffsverkehr, besonders als große Kohlenstation, beständig zu, wenn es auch zweifelhaft erscheinen mag, ob durch ihr Aufblühen Aegypten großen Vorteil hat und dadurch nicht vielmehr die alte große Handelsstadt Alexandria in den Schatten gestellt und so der Gewinn an einer Stelle durch den Verlust an einer andern zu nichte gemacht wird.
Wenn immerhin durch diese Städte der Kanal auch einige Vorteile für das Land Aegypten gebracht hat, so hat das Land doch im allgemeinen nichts aus ihm gewonnen. Die Eisenbahn, die Mehemet Ali von Alexandrien nach Suez hatte bauen lassen, ist auf ihrer letzten Strecke, von Kairo direkt nach Suez, verfallen, da diese Verbindung des Mittelländischen und Roten Meeres durch den Kanal überflüssig geworden war. Der große Gewinn, den Aegypten aus den Aktien hätte ziehen können, ist durch den Leichtsinn Ismail Paschas, der seine wertvollen Anteilscheine zur Deckung seiner Schulden veräußern mußte, verloren gegangen, und dadurch, daß England sie an sich zu bringen wußte, ist zuerst der britische Einfluß im Nilthal geltend gemacht worden.
Aber freilich, Europa hat die Anlage des Suezkanals nicht zu beklagen. Sein Handel, und nicht am wenigsten der deutsche, hat dadurch einen neuen Aufschwung genommen und sich nicht weniger als einst, durch die Entdeckung des Seewegs nach Indien, gehoben. Wir haben also Grund genug, die dreißigjährige Entwicklung der Isthmusstraße mit Befriedigung zu verfolgen und am Denkmal des „großen Franzosen“ in Port Said auch unsern Lorberkranz niederzulegen.
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.