Bürgerschule 3 und 4 in Kassel

Architekt: Stdbrth. von Noél-Kassel. Nach Fertigstellung und Uebernahme des Doppel-Schulgebäudes in der Altstadt (am Wall) im Oktober 1888 stellte sich alsbald, insbesondere auch deswegen, weil nach einer Verfügung der königl. Regierung ein älteres Schulgebäude als für Schulzwecke nicht mehr geeignet geräumt werden musste, das Bedürfniss nach einem weiteren Schulhause und zwar in dem neuen westlichen Stadttheile heraus.

Nach längeren Verhandlungen wurde ein für die Errichtung eines Doppel- Schulhauses für Knaben und Mädchen nebst gemeinschaftlicher Turnhalle in jeder Beziehung geeignetes und auch noch 2 geräumige Schul-Spielhöfe darbietendes städtisches Grundstück im westlichen Theile der Stadt an der Ecke der Luisenstrasse und des Königsthors als Bauplatz für die neue Schule bestimmt und im März 1891 mit dem Bau begonnen. Derselbe wurde einschl. des inneren Ausbaues und der Ausstattung bis Oktober 1892 fertiggestellt so dass die Schule mit Beginn des Winterhalbjahres in Benutzung genommen werden konnte.

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Das Schulgebäude enthält in den beiden vollkommen von einander getrennten Abtheilungen für Knaben und Mädchen je 16 Klassenzimmer von je 58,59 bis 67,41 qm Grundfläche, einen Zeichen- und Singsaal von 79,9 qm Fläche, 1 Rektorzimmer, 2 Lehrer- bezw. Lehrerinnenzimmer, 1 Bibliothek- und Sammlungszimmer, 1 Schuldienerzimmer, 1 Schuldiener-Wohnung mit 3 Wohn- bezw. Schlafräumen und Küche, sowie im Kellergeschoss die Zentral-Heizungsanlage, 1 Brause-Badeeinrichtung mit 12 Brausen, 1 Waschküche und Keller für Holz, Kohlen, Papier usw. Die ursprünglich im Dachgeschoss geplanten Schuldiener-Wohnungen wurden theils in das Erdgeschoss, theils in das Kellergeschoss gelegt. Um den beträchtlichen, bis 3 m betragenden Höhenunterschied der Strassen bezw. das starke Gefälle weniger sichtbar zu machen, wurde vor dem Seitenflügel nach dem dem Königsthor ein Vorgarten angelegt, welcher durch Aufführung einer Futtermauer eine erhöhte Lage bekam. In diesem hochgelegenen Theile des Kellergeschosses wurde ein Depot für die Feuerwehr vorgesehen.

Bürgerschule 3 & 4 in Cassel

Das Schulgebäude ist ganz massiv aus Ziegelsteinen mit Bruchsteinfundamenten errichtet, mit Falzziegeln eingedeckt und mit Blitzableitungs-Anlagen versehen. Es erhielten die Umfassungsmauern im Keller 77 cm, im Erdgeschoss 64 cm und im I. und II. Obergeschoss 51 cm Stärke. Das Kellergeschoss, sämmtliche Flure in den Geschossen und die Treppenhäuser sind überwölbt und zwar ersteres zwischen Gurtbögen, letztere zwischen I-Trägern. Die bis zum Dachboden geführten Nebentreppen werden von dem Bodenraume durch Brandmauern mit eisernen Thüren abgeschlossen. Zwei weitere Brandmauern trennen die beiden Seitenflügel vom Mittelbau. Die Keller- und Flurtreppen sowie die äusseren Freitreppen sind aus Granit hergestellt.

Für jede Abtheilung des Gebäudes ist eine Haupt- und eine Nebentreppe von 2 m Laufbreite zwischen den Geländern angeordnet. Die Nebentreppen an den Enden der Seitenflügel führen bis zum Dachboden, die Haupttreppen nur bis zum Fussboden des II. Obergeschosses. Die Konstruktion der Treppen ist in Eisen ausgeführt und zwar bestehen die Wangen und Stufen aus Eisenblech mit aufgenieteten Winkeleisen. Auf die Bleche der Trittstufen ist ein Eichenbohlenbelag aufgeschraubt.

Die 1,1 m hohen eisernen und mit eichenen Handlehnen versehenen Geländer sind an die Wangenbleche genietet und durch Streben versteift.

Bürgerschule 3 & 4 in Cassel

Diese Treppenkonstruktion bietet mancherlei Vorzüge vor massiven Steintreppen. Zunächst sind die nach ihr angelegten Treppen weniger gefährlich bei etwaigem Sturze der Kinder, weil sie, da mit Holz belegt, geringere Verletzungen hervorrufen, als Steintreppen. Der Holzbelag der Stufen lässt sich, wenn abgelaufen, auch ohne grosse Mühe und Kosten erneuern und die Geländer lassen sich sehr sicher befestigen. Auch haben diese Treppen ein sehr gefälliges und leichtes Aussehen.

Sämmtliche Räume der 3 Geschosse werden mittels Niederdruck-Dampfheizung vom Keller aus erwärmt. Auch auf den Gängen sind Heizkörper aufgestellt. Die Zuluftkanäle der Ventilationseinrichtung stehen mit den Heizkörpern der Dampfheizung in Verbindung. Die mit oberen und unteren Klappen versehenen Abluftkanäle endigen auf dem freien Dachboden. Zimmeröfen sind ausser in den Wohnungen der Schuldiener nur noch in den Amtsstuben der Rektoren aufgestellt. Die Oefen werden jedoch nur in den Ferien geheizt, wenn die Zentralheizung nicht inbetrieb ist.

Die Klassenzimmer erhalten ihr Licht von einer Seite durch je 4 Fenster von zus. rd. 14 qm Lichtfläche, also mehr als ein Fünftel der Zimmerfläche.

Gasbeleuchtung ist nur in den Zeichensälen, in den Rektor- und Lehrerzimmern sowie auf den Gängen bei den Treppen angelegt worden. Die 1,15 m breiten Klassenzimmer-Thüren schlagen nach den Gängen auf. In jedem Geschoss sind auf den Gängen Trinkwasser-Ausläufe und Hydranten von 19 mm Weite angebracht worden. Zu den deren auch je einer im Dachgeschoss sich befindet, gehören 30 m lange Schläuche.

Grundriss des Erdgeschosses

Für jede Schule sind 4 Ausgänge von je 2 m Breite mit nach Aussen aufschlagenden Thüren angeordnet, davon je eine nach der Strasse. Diese Ausgänge ermöglichen auch für den Fall plötzlich eintretenden Feuerlärms eine genügend schnelle und gefahrlose Entleerung des Gebäudes. Zu den 4 Haupteingängen von den Strassen und zu den Seitenflügeln führen Freitreppen von 1-3 Stufen. Vor dem Strasseneingange der Mädchenschule nach dem Königsthor liegen, bedingt durch die Höhenunterschiede der Strassen, noch weitere 6 Stufen.

Im Aeusseren ist das Gebäude im einfach gehaltenen Ziegelfugenbau unter Verwendung von gelben und rothen Verblendsteinen und Formziegeln errichtet. Nur der die beiden Seitenflügel verbindende Mittelbau ist reicher ausgeführt worden. Werksteine sind nur verwendet bei der Sockelverblendung, dem Sockelgesims, den Hauptportalen und dem Uhrgiebel. Alle anderen, dem Werkstein ähnlichen Formen sind aus Stampfzement-Beton hergestellt. Zu der Ziegelsteinverblendung wurden gelbe Ludwigshafener und rothe Ullersdorfer Verblend- und Formsteine verwendet. Die Sockelverblendung ist aus Niedermendiger Basaltlava, das Sockelgesims aus rothem Stadtoldendorfer Sandstein (Weser), die Keller und Freitreppen usw. aus Granit vom Fichtelgebirge (Kirchenlamitz) hergestellt. Zu den Werksteinen des Uhrgiebels und der Portale ist weisser Sandstein aus der Nähe Kassels (Balhorn) verwendet. Die für jede Schule getrennten Abortanlagen befinden sich auf den Spielhöfen und zwar sind für die Knabenschule ausser dem Pissoir 16 und für die Mädchenschule 29 Aborte eingerichtet worden, eine Zahl, die sich nach den hiesigen Erfahrungen als vollständig ausreichend erwiesen hat. Bei den hiesigen Schulen kommt im allgemeinen ein Sitz auf je 60 Knaben oder 40 Mädchen und es hat diese Zahl noch nie zu Unzuträglichkeiten geführt.

Die Aborte haben dieselbe Einrichtung erhalten, welche sich bei der Eingangs erwähnten Schule am Wall gut bewährt hat.

Die weiten Rohransätze der einzelnen Aborttrichter münden in einen eiförmigen, wasserdichten Kanal von 90 cm Höhe und 60 cm Breite, welcher stets bis zur Kämpferhöhe mit Wasser gefüllt ist und von Zeit zu Zeit plötzlich entleert wird.

Die für beide Abtheilungen gemeinschaftliche Turnhalle ist im Innern 24 m lang und 12 m breit und hat zwei Ausgänge von je 1,5 m Breite. Dieselbe dient zugleich als Aula bei grösseren Festlichkeiten und Prüfungen und kann dann bis zu 350 Personen aufnehmen.

Die Ausführungskosten betrugen für das Hauptgebäude 335 000 M., für die Turnhalle 18500 M. und für die Abortanlagen 6000 M.; demnach für 1 qm 208 M., bezw. 43 M. und 30 M. und für 1 cbm 10,50 M., bezw. 5,50 M. und 13 M.

Die Gebäude sind nach den Entwürfen des Hrn. Stdtbrth. von Noél ausgeführt. Die Oberleitung für die Ausführung. des Rohbaues lag in den Händen des Hrn, Stdtbmstrs. Fabarius. Die Oberleitung über die Arbeiten des inneren Ausbaues hat Hr. Stdtbmstr. Bonacker. Als Spezialbauleiter war thätig für den Rohbau Hr. Arch. Mascke, für den inneren Ausbau Hr. Techn. Rammenzweig.

Dieser Artikel erschien zuerst am 01.05.1897 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „-M.-“.