Orchideenzucht im Wiener Hofgarten

In der österreichischen Reichsgartenbauausstellung, die im Oktober vorigen Jahres in Wien abgehalten wurde, war trotz herrlichster und seltenster Blumensammlungen der „Clou“, eine Orchideensämlingszucht größeren Umfangs, die alle Ausbildungsstufen von den ersten Keimlingen bis zur entwickelten Pflanze umfaßte, die zum Teil nur durch die darüber gelegten Lupen für das Auge erkennbar waren.

Aussteller dieser hochinteressanten und ganz neuen Gruppe war die Kaiserliche Hofgartendirektion in Schönbrunn. Fachmänner und Liebhaber protestierten einstimmig dagegen, daß eine so wertvolle Sammlung der Gefahr des Verderbens ausgesetzt werde, aber der Kaiserliche Hofgartendirektor Anton Umlauft versicherte, das habe nichts zu bedeuten, denn die Zahl der in den Orchideenanzuchthäusern in Schönbrunn vorhandenen Sämlinge sei ohnedies so groß, daß bei weitem nicht alle fertig kultiviert werden können. Ebenso bereitwillig, wie sie die Ausstellung beschickte, hat sich die Kaiserliche Hofgartendirektion damit einverstanden erklärt, daß das Schönbrunner Anzuchtverfahren in einer Reihe von Bildern für die „Woche“ aufgenommen werde, und sie hat überdies noch die Mitteilungen zur Verfügung gestellt, durch die das sonst so sorgsam gehütete Geheimnis der Orchideenanzucht aus Samen offen dargelegt wird.

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Um den Wert dieser Bilder und Mitteilungen richtig schätzen zu können, muß man sich folgende bekannte Thatsachen ins Gedächtnis zurückrufen. Bekanntlich müssen bis jetzt alle Orchideen immer wieder neu aus den Tropen, hauptsächlich aus Südamerika, geholt werden. Die großen englischen Firmen schicken ihre Reisenden alljährlich aus und richten deren Ankunft an Ort und Stelle so ein, daß sie die Orchideen in der Ruhezeit einsammeln können. Sie verpacken die gesammelten Pflanzen sorgfältig mit Holzspänen in Fässern und schicken sie nach Europa, wo sie in verdunkelten Glashäusern aufgelegt und vorsichtig wieder an Feuchtigkeit und Licht gewöhnt werden, bis sie nach Wochen die ersten Triebe zeigen, denen bald die Wurzeln folgen. Nun erst werden sie in Töpfe oder Mooskörbe verpflanzt, in denen sie gewöhnlich schon im ersten Jahr reichlich blühen. Solche Importationen, die aus vielen Tausenden von Pflanzen bestehen, werden sorgsam überwacht, ob sich nicht Spielarten darunter befinden, die im Handel unbekannt sind. Finden sich solche Spezialitäten darunter, z. B. die ganz weißen Abarten aller bekannten Sorten, so werden sie abgebildet und in Fachschriften beschrieben, worauf alsbald die Angebote eintreffen. 23 000 Mark ist ein von Sammlern nicht selten gebotener Preis für eine ganz seltene Pflanze. Gewöhnlich gelingt es nicht, eine Pflanze zu teilen, sie bleibt ein Unikum, auf das der glückliche Besitzer ungeheuer stolz ist. Die ganz weiße Cattleya ist z. B. Bei ihrem jedesmaligen Auftauchen von amerikanischen Milliardären sofort aufgekauft worden.

Die Mutterorchideen mit Samenkapseln
Sieben Stadien im Wachstum der Sämlinge

Es ist wohl begreiflich, daß dieses ganze umständliche Verfahren die Orchideen zu einem beinah unerschwinglichen Luxusprodukt macht, und dennoch sind sie so allgemein beliebt, daß es wohl ein Verdienst ist, wenn sie auch minder bemittelten Kauflustigen zugänglich gemacht werden. Aber nicht nur die Verbilligung und allgemeine Verbreitung der Orchidee wird durch deren Anzucht aus Samen erreicht, auch ihre Entwicklung und Vervollkommnung gewinnt dadurch.

Die Befruchtung der Orchideen in der Natur geschieht durch Tiere und ist ganz dem Zufall überlassen. Es kommen deshalb natürliche Kreuzungen nur sehr selten vor. Bei der Anzucht aus Samen werden durch künstliche Kreuzungen eine Menge ganz neuer Abarten erzielt werden; es werden auch durch künstliche Zuchtwahl wichtige Verbesserungen zu erreichen sein. So giebt es Orchideen, die prachtvolle Blüten, aber ganz kurze Stengel haben, so daß sie zur Blumenbinderei nicht zu verwenden sind. Hier wird der Gärtner eine Kreuzung mit einer langgestielten Pflanze vornehmen und dem Uebelstand dadurch abhelfen. Auch die Kreuzung zwischen blaßgefärbten, aber schöngeformten und schöngefärbten Blüten läßt sich ausführen.

Große Vorteile verspricht man sich von Kreuzungen zwischen schönen Orchideen, die ein sehr heißes Klima verlangen, und solchen, die mäßigere Temperatur vertragen, weil dann die Kultur der ersteren weniger kostspielig sein wird. In Schönbrunn hat man schon erreicht, daß die Erzeugnisse solcher Kreuzungen in niedrigerer Temperatur sich fröhlich entwickeln.

Man hat sich lange nicht mit der Anzucht von Orchideen aus Samen abgegeben, weil sie allerdings in den Anfängen sehr schwierig ist, und weil allgemein am Glauben festgehalten wird, die Orchidee komme erst im zehnten Jahr zur Blüte. Dieser Glaube wurde in Schönbrunn im großen Maßstab widerlegt, denn man hat dort schon im vierten Jahr Pflanzen mit Blumenscheiden erzielt. Wenn die Orchidee nicht von Anfang an den richtigen Nährboden erhält, dürfte sie allerdings zehn Jahre zur vollen Entwicklung brauchen.

In der Heimat wachsen die meisten Orchideen – mit Ausnahmen der Erdorchideen – auf der borstigen Rinde von Stämmen und Aesten, an Stellen, wo in den Rissen Staub und Laub, Flechten und Moose angesammelt und vermodert sind. Diese Nahrungsvorräte sind sehr gering, weshalb die Pflanzen so lange Zeit zur Entwicklung brauchen; beschleunigt wird das Wachstum durch Verabreichung derlei geeigneter Stoffe in reichlichem Maß. Es hat sich in Schönbrunn gezeigt, daß man mit reinem, pilzfreiem Eichenmoder, kleinen Stückchen Holzkohle und quarzigem Sand ganz überraschende Resultate erzielen kann. In neuster Zeit hat man auch versucht, Orchideen in Lauberde zu kultivieren, und an manchen Orten schöne Resultate erzielt, aber es hat sich in Schönbrunn erwiesen, daß diese Art Kultur viel größere Aufmerksamkeit erfordert und daß man, wenn die Lauberde nicht im richtigen Verwesungsstadium ist, leicht entmutigende Mißerfolge herbeiführen kann. Die obengenannte Mischung dagegen mit Beimengung von Farnwurzelerde giebt einen lockeren Boden, der dem natürlichen Standort dieser Pflanzen sehr ähnlich ist und ein rasches Wachstum bewirkt.

Bei der Anzucht aus Sa men muß man vor allem darauf bedacht sein, daß die Mutterpflanze nur eine Samenkapsel trägt; hat sie mehrere, so wird sie geschwächt, und die Ausbildung der Samen leidet darunter. Eine Samenkapsel enthält in den meisten Fallen Hunderttausende von Samen, die wie Staub aussehen und deren einzelne Körnchen mit freiem Auge nicht wahr zunehmen sind. Nur die in der Mitte der Kapsel liegenden Samen sind keimfähig. Der Gärtner untersucht mit Hilfe des Mikroskops, welche Samen keimfähig sind, denn die Kapsel kann auch ganz mit taubem Samen gefüllt sein. Ergiebt die Untersuchung ein befriedigendes Resultat, so kann sogleich zum Anbau geschritten werden.

Eichenmoder, gehacktes, feines Moos oder ausgegorene Sägespäne werden in Samenschüsseln auf gestellt und mit Samen angestaubt, dann in eine Wasserschüssel gestellt, damit die Feuchtigkeit von unten angezogen wird. Man hat vielfach die Samenschüsseln vor der Sonne bewahrt, sie in den tiefsten Schatten gestellt, und das Resultat war, daß Moose, Flechten und Pilze unbehindert wuchsen und die Pflänzchen im Keim erstickten. Man muß die Samenschüsseln an lichte Orte, an die Sonnenseite des Hauses stellen, dicht unters Glas, und sie so wie die Mutterpflanzen behandeln. Man hat eine Grundbedingung beim Anbau der Orchideen bisher übersehen: die Beachtung der Trockenperioden, die man sie so durchmachen lassen muß wie die Mutterpflanzen. Man hat sich gefürchtet, sie trocken werden zu lassen; es schadet ihnen aber nicht einmal eine wochenlange Trockenperiode. Sowie die Vegetationszeit in der Heimat anbricht, wachsen auch die kleinen Pflanzen wieder. Die Orchideen keimen ganz eigentümlich und abweichend von andern Pflanzen.

Der Samen wird zuerst grün und treibt auf einer Seite einen sackförmigen Auswuchs, aus dem die ersten Blättchen hervorkommen. Das erste Würzelchen ist mit feinen Saughaaren bedeckt. Das ganze Individuum liegt nur lose auf der Erde auf und wird in der Natur vom Wind vertragen. Wenn dieses Stadium eintritt, muß der Gärtner darauf bedacht sein, dem Pflänzchen neuen Nährboden zu geben, denn der alte hat nicht mehr Kraft genug, um sie im raschen Wachstum zu ernähren. Nun kommt eine furchtbare Geduldprobe. Die Pflanzen sind so klein, daß der Gärtner sie mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmen kann, deshalb nimmt er mit der im Auge eingeklemmten Lupe das Umsetzen vor. Er hat ein haarfein zugespitztes Stäbchen, mit dem er die Pflänzchen aus dem Nährboden wegholt und sie auf den neuen Nährboden legt. Diese Operation muß bis zum Erscheinen der eigentlichen Wurzeln mehreremal wiederholt werden, besonders wenn sich auf dem Nährboden Schimmelpilze zeigen. Nach dem ersten halben Jahr, wenn sich die jungen Keimlinge bewurzeln, müssen sie einzeln in kleine Töpfe gesetzt werden. In diesen Töpfen bleiben sie längere Zeit, bis sich ihre Wurzeln stark entwickeln. Die Töpfe müssen möglichst nahe ans Licht gerückt und nur gegen die heißeste Mittagssonne geschützt werden; auch müssen sie mit guter Drainage versehen sein. Erst wenn die Wurzeln den Topf ausfüllen, wird wieder versetzt. Im neuen Topf darf dann kräftigere Kost sein, faseriges Erdreich mit englischem „Pit“ (Farnwurzelerde) vermischt. So wachsen die Pflanzen weiter, bis sie im vierten Jahr Blütenansätze zeigen. Wenn sie schon größer sind, können sie je nach der Gattung in Körbchen oder Töpfen weiterkultiviert werden. Cattleyen, Deutrobien, Wanden, Oncidien entwickeln sich besser in hängenden Körben, Masdevallien, Cypripedien und alle Erdochideen kommen in Töpfe. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die aus Samen gezogenen Pflanzen viel schönere Blumen erzeugen als die alten Kulturpflanzen.

Im Haus der Sämlinge – der Gärtner verpflanzt mit der Lupe die kleinen Pflanzen aus den Samenschüsseln

In Schönbrunn stehen jetzt 10 000 Einzelpflanzen in Töpfen, die in den Samenschüsseln gezogenen Pflanzen aller Gattungen und Arten sind unzählig. Gegenwärtig wird ein neues Haus nur für Sämlinge gebaut, das 30 Meter lang und 8 Meter breit sein wird. Für die Kreuzungen wird eine reiche Auswahl von Mutterorchideen bereitgehalten, die direkt aus den Tropen importiert wurden.

An alten blühenden Pflanzen hat Schönbrunn 15 000 schöne Exemplare, die in acht Glashäusern untergebracht sind. Im Vorjahr hat die kaiserliche Hofgartendirektion zwei Sammlungen angekauft, die weit über die Grenzen Oesterreichs hinaus bekannt waren, die Sammlung des Barons Hruby und die des Nürnberger Privatiers Forster.

Dieser Artikel erschien zuerst am 12.07.1902 in Die Woche nach den Mitteilungen der Kaiserlichen Hofgartendirektion Wien-Schönbrunn. Von Bettina Wirth. Dazu 5 photographische (und nachcolorierte) Aufnahmen von A. Karl Schuster, Wien.