Chinesische Revolution

Muanschikai

Die große Revolution, die das Reich der Mitte erfaßt hat, richtet sich gegen das Mandschujoch, unter dem das große Land seit 1644 seufzt, in welchem Jahre der erste Kaiser aus dem fremden Erobererstamm der Mandschus Chinas Thron bestieg.

Seitdem hat man dort alle Staatspfründen mit Mandschus besetzt, die gesamte Staatsverwaltung stand unter der Mandschuklüngelherrschaft. Kulturell tief unter den Chinesen stehend, haben die Mandschus durch kriegerische Talente ihre Herrschaft so lange aufrechterhalten. Sie zählen 5 bis 6 Millionen und üben eine Tyrannei über 400 Millionen Chinesen seit nun bald 400 Jahren aus. Ihr Hochamt war so stark, daß sie den Chinesen die Ansiedlung in ihrem Stammlande, der Mandschurei, untersagten. Nun hat das lange Wohlleben, der Reichtum, den die Erpresser- und Aussaugerwirtschaft im Lande den Mandschus gebracht hat, diese zur völligen Erschlaffung geführt. Dieser ehemalige Schwertadel hat die Verteidigung nach außen so schlecht gehandhabt, daß der Krieg gegen das kleine Japan verloren wurde, daß Russen, Engländer, Franzosen, Japaner und Deutsche in China wesentliche Landesteile besetzen konnten.

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Als Japan den Krieg gegen Rußland gewann, erkannten die Chinesen mit Wut, daß der Europäer gar nicht für den Ostasiaten unüberwindlich sei, und drängten auf eine Neuorganisation der Flotte und des Heeres. Die im Ausland lebenden Chinesen stellten Vergleiche mit der dort herrschenden Ehrlichkeit der Beamten und der Mißwirtschaft in China an, wo die Mandarinen in den Provinzen wie die Raben stahlen, und der Pekinger Hof keine andere Sorge kannte, als die, möglichst viel Geld aus den Provinzen zu pressen. Die Seele der Revolution, Dr. Sun-Yi-Hsien, hat in London und in Amerika jahrelang die jetzige Erhebung vorbereitet und starke Geldmittel zu ihrer Durchführung in seiner Hand. Dieser Mann ist jetzt zum Präsidenten der Jangtserepubliken ernannt worden.

Muanschikai
Muanschikai, Chinas hervorragendster Staatsmann, wurde als Retter in der Not zur Niederwerfung der chinesischen Revolution berufen, nachbem er drei Jahre in Ungnade verbracht hatte. Er steht im 52. Lebensjahr, war mit 26 Jahren Vertreter Chinas in Korea, wurde dann Gouvereur von Schantung und 1901 als Nachfolger Lihungtschangs Vizekönig von Tschile. Er ist ein vorzüglicher Organisator und ein überzeugter Anhänger der modernen Reformideen für China.

Der zurzeit China beherrschende Regent ist ein Mann von bestem Wollen, dessen Reformbestrebungen aber für die Abwendung der Revolutionsgefahr zu spät kommen. Die Umwandlung des großen alten Reiches in ein republikanisches Staatsgebilde wird wohl vorerst kaum sich durchführen lassen, da die Bevölkerung Chinas die entsprechende politische Reife noch nicht erlangt hat. Durch die Rückberufung des lange abgesetzt gewesenen großen Reformators Mianschilai bekundete die kaiserliche Regierung ihre Neigung für weitere Staatsreformen. Daß Muanschilai seinerseits nicht zu den Revolutionären überging, beweist, daß auch er China nicht reif für eine republikanische Staatsverfassung hält. Bei den Plünderungen in Hankau mußte das deutsche Landungskorps im Verein mit dem deutschen Freiwilligenkorps von Hankau zum Schutz der deutschen Niederlassungen den Kampf mit dem plündernden Pöbel aufnehmen. In Paris und London hat das wieder einmal verschnupft, obgleich die deutschen Schiffskommandanten in Hankau sich unter den Befehl des rangältesten englischen Admirals sofort nach dessen Eintreffen stellten..

Dieser Artikel erschien zuerst in Reclams Universum Weltrundschau vom 16. – 22.10.1911, er war gekennzeichnet mit „Spectator“.