Der preisgekrönte Entwurf zu einem Geschäfts- und Wohnhause auf der Eckbaustelle des ehemaligen Victoria-Hotels (sogen. Victoriahaus) in Dresden

Architekten Reuter & Fischer in Dresden.

Die von Hrn. Juwelier Heinrich Mau in Dresden ausgeschriebene Wettbewerbung für Entwürfe zu einem Geschäfts- und Wohnhause auf der durch Abbruch des ehemaligen Viktoria-Hotels zu gewinnenden, von der Ringstrasse, Seestrasse und Waisenhausstrasse begrenzten Eckbaustelle hat in den Fachkreisen grosses Interesse erweckt. Nicht weniger als 51 Entwürfe aus den verschiedensten Theilen Deutschlands waren eingegangen und mit Spannung wurde allerseits die Entscheidung der Preisrichter erwartet.

Leider hat das Gutachten der letzteren, über welches wir auf S. 31 berichtet haben, sich auf eine kurze Würdigung der 3 durch Preise ausgezeichneten Arbeiten beschränkt, ohne den grundsätzlichen Gesichtspunkten gerecht zu werden, von denen jene bei ihrem Urtheil sich haben leiten lassen. Der uns mehrfach kundgegebene Wunsch, zum wenigsten den an erster Stelle gekrönten Entwurf durch eine Veröffentlichung kennen zu lernen, dürfte daher um so mehr berechtigt sein, als die öffentliche Ausstellung der zum Wettbewerb eingereichten Arbeiten nur so kurze Zeit gewährt hat und so spät bekannt geworden ist, dass ausser den Dresdener Fachgenossen nur Wenige zu ihrem Besuch Gelegenheit gehabt haben.

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Die hier nach den Original-Zeichnungen der Architekten mitgetheilten Abbildungen – perspektivische Ansicht, Grundrisse von Erdgeschoss und II. Obergeschoss sowie Längendurchschnitt – dürften genügen, um die Grundzüge der Anlage erkennen zu lassen.

Fassade an der Ring- und Seestrasse

Die Bebauung des zufolge seiner Lage ausserordentlich werthvollen Grundstücks ist eine sehr weitgehende; zur Erleuchtung und Lüftung der Innenräume sind nur 2 verhältnissmässig kleine Höfe und 1 Lichtschacht angeordnet, von denen jedoch nur der eine, von der Durchfahrt durchschnittene Hof bis zur Erdgleiche frei gehalten ist, während der zweite Hof sowie der Lichtschacht über dem II. Obergeschoss mit einer Glasdecke abgeschlossen und zu den unteren Räumen hinzu gezogen sind. Erdgeschoss und I. Obergeschoss sind ganz zu Geschäftsräumen eingerichtet, die mit breiten, durch kräftige Steinpfeiler geschiedenen und durch Säulen getheilten Schaufenstern nach der Strasse sich öffnen. Eine geschickte Anordnung der Hauseingänge hat es ermöglicht, dass die Eingänge zu den kleineren Läden an der Ring- und Waisenhausstr. mit ersteren vereinigt sind, so dass den Läden nichts von der Schaufensterfläche verloren geht, Den grösseren Läden an den genannten Strassen ist dagegen ein erhöhter Werth dadurch gegeben worden, dass ihr Eingang von der verkehrsreicheren Seestrasse her gewonnen ist. Die kleinen Vorhallen an den Gebäudeecken, welche diesen Ladeneingängen vorgelegt sind, gaben zugleich Gelegenheit, die dem werthvollsten Mittelladen an der Seestrasse zugewiesene Schaufensterfläche zu verdoppeln. Das Gutachten der Preisrichter hebt diese Anordnung, sowie die schöne Verbindung des zuletzt erwähnten Ladens mit den Geschäftsräumen des I. Obergeschosses durch die in einen der beiden Höfe eingebaute Treppe als besonders verdienstlich hervor. Die zweite, von der Ringstrasse her zugängliche, nicht minder stattliche Treppe, die unmittelbar zu jenen oberen Geschäftsräumen führt, dient gleichzeitig für die oberen Wohngeschosse.

Längen-Durchschnitt

An der Eintheilung der letzteren rühmen es die Preisrichter mit Recht als einen wesentlichen Vorzug, dass die Scheidung der beiden Wohnungen, welche jedes Geschoss enthält, nicht parallel zur Richtung der Waisenhaus- und Ringstrasse, sondern senkrecht zu letzterer erfolgt ist. Damit ist erreicht, dass die Schlafzimmer beider Wohnungen an die untergeordnete Waisenhausstr., die Wohn- und Gesellschaftszimmer dagegen an die vornehmere, mit gärtnerischen Anlagen ausgestattete Ringstr. bezw. an die Seestr. verlegt werden konnten, was-beide Wohnungen annähernd gleichwerthig macht. Als eine Annehmlichkeit der letzteren dürfte die grosse Ausdehnnng der zwar nicht reichlich, aber immerhin noch genügend erhellten, unmittelbar zu lüftenden Vorräume empfunden werden.

Grundriss

Hoch interessannt ist auch die Gestaltung der Fassaden, bei welcher die durch ihr Streben nach Eigenart des künstlerischen Ausdrucks ausgezeichneten Architekten nicht ohne Glück versucht haben, au die Vorbilder des alten, noch nicht in die akademische Schablone gezwängten Dresdener Barock wieder anzuknüpfen. Mögen sie in Einzelheiten, namentlich im Reichthum der Ausgestaltung für den vorliegenden Zweck auch etwas zu weit gegangen sein, so ist das Streben an sich doch sicherlich im höchsten Grade verdienstlich. Man ‚kann nur aufrichtig wünschen, dass sie mit demselben in Dresden nicht nur persönlich weiteren Boden gewinnen, sondern auch Schule machen möchten.

Dieser Artikel erschien zuerst 1891 in der Deutschen Bauzeitung.