Grossfeuer in New-York am 4. Dezember 1898

Grossfeuer in New York (am Broadway und Warrenstreet) am 4. Dezember 1898

Wie beigegebener Plan zeigt, bilden das vierzehnstöckige Gebäude der Postal-Telegraph Co., das sechzehnstöck. Gebäude der Home Life Insurance Co., sowie ein fünfstöckiger älterer Bau den Abschluss eines Häusergeviertes am unteren Broadway. Ein den ganzen Tag heftig tosender Sturm hatte sich gegen Abend zum Orkan gesteigert und blies in der in dem Plan angegebenen Richtung.

Das Feuer brach in dem Keller des fünfstöckigen Gebäudes gegen Abend aus. In kurzer Zeit war das ganze Haus vom Erdgeschoss bis zum Dach eine brennende Lohe, welche mit voller Wucht, angefacht von dem rasenden Sturme, an dem dreimal höheren Nachbargebäude emporschlug. Es war klar, dass hier der Werth eines der neuen sogen. feuersicheren Gebäude auf die bisher härteste Probe gestellt werden würde. – Der infrage stehende Bau ist einer jener vielen hohen modernen, aus Stahl konstruirten feuersicheren Kolosse. Der an der Nordseite gelegene Lichthof B gab eine der typischen Bedingungen, welchen wir in grossen Städten jederzeit begegnen können, wenn solche neumodischen Backsteinkästensichin unmittelbarer Nachbarschaft von kleinen älteren Gebäuden befinden, deren Untergang bei etwaigem Feuer fast sicher anzunehmen ist; sie bieten ohne Zweifel eine stete Gefahr.

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Die Home Life Insurance Co. wurde 1893 erbaut. Das Gerüst besteht vollständig aus Stahl. Alle Mauern mit Ausnahme der Strassenfront werden von Stahlträgern getragen. Bei einer Strassenfront von 20 m und einer Tiefe von 33 m befinden sich an beiden Seiten je ein Lichthof. Alle Seitenwände sind aus Backstein, die Lichthöfe mit glasirten Ziegeln verblendet.Die Strassenfront ist aus weissem amerikanischem Marmor hergestellt. Die Hauptträger laufen parallel mit der Strasse. Eine Säulenreihe läuft durch die Mitte des Gebäudes von Osten nach Westen. Alle Hauptträger sind mit den Säulen in den Aussenwänden gegen Winddruck versteift. Die Stahlbalken zwischen den Hauptträgern sind ungefähr 1,3 m von einander entfernt und die Säulen bestehen aus Stahlplatten und Winkeleisen. Alle Metalltheile sind durch Umhüllungen von gebrannten Hohlziegeln gegen Feuer geschützt und die Bodenbögen bestehen aus 25 m hohen Hohlziegeln. Jeder Bogen besteht aus fünf Stücken. Jeder Stein hat eine senkrechte und zwei wagrechte Rippen. Die Zwischenwände in den verschiedenen Geschossen bestehen aus derselben Art Hohlziegel, 0,102 m dick und sind bis auf 1,25 m von der Decke herunter solide. Ebenso besteht die Säulenbekleidung aus hohlen Terrakottaplatten mit einer Zwischenrippe; es wird dadurch eine doppelte Luftschicht erzeugt.

Lageplan des Grossfeuers in New York
Lageplan des Grossfeuers in New York

Die Hauptträger sind, soweit sie unter der jeweiligen Decke sichtbar werden, mit durchbrochenem Stahlblech bekleidet und Alles in der üblichen Weise beworfen.

Das Unglück für das H. L. I. Co.-Gebäude bildete der Lichtschacht B. Bis zum sechsten Stockwerk schützte die Brandmauer des alten Gebäudes den nachbarlichen Riesen. Von dem sechsten Stock aufwärts wirkte der betreffende Schacht wie ein ungeheurer Kamin, in welchem die Flammen wild empor loderten. Der Schacht hatte je vier Fenster an der Ost- und Westseite und zwei an der Südseite mit den Aufzügen gegen die letztere Wand. Wie eine ungeheure Fackel brannte das mit Kleidern angefüllte Eckgebäude. Die Fenster in dem Lichtschacht hatten keine eisernen Läden und hierin ist der Grund der theilweisen Zerstörung des gefährdeten Baues zu suchen. Nach und nach brach das Fensterglas und die Rahmen begannen Feuer zu fangen. Das nächste war der Fussboden und was von Möbeln im Wege stand. Nach kurzer Zeit war alles Brennbare in den nach dem Lichtschacht gelegenen Zimmern zerstört.

Die Bodenkonstruktionen erwiesen sich dagegen als vollständig widerstandsfähig und es brannte jedes Stockwerk unabhängig von den andern. Nur in zwei Fällen gaben Stücke von den Bögen in der Grösse von 3-4 m nach indem ein eiserner Geldschrank umfiel und die Böden durchschlug. Durch die die Aufzüge umgebenden Metallgitter schlugen die Flammen noch durch.

Manche Zwischenwände fand man später eingefallen, doch ist dies mehr auf Beschädigung von Seiten der Feuerwehr, Schläuche und Wasserstrahlen zurückzuführen. Vereinzelte Stücke der Trägerverkleidung fielen ab, doch waren die Träger selbst in allen Fällen vollständig unversehrt.

Die genaue Untersuchung des Gebäudes ergab, dass das Stahlgerüst vollständig erhalten war.

Grossfeuer in New York (am Broadway und Warrenstreet) am 4. Dezember 1898
Grossfeuer in New York (am Broadway und Warrenstreet) am 4. Dezember 1898

Die Marmorfront hatte am meisten gelitten und muss bis zum achten Stockwerk abgetragen werden. Bis zur Höhe dieses Geschosses konnte die Feuerwehr erfolgreich arbeiten, doch ist dies die Grenze für die bisher gebräuchlichen Löschapparate; höher hinauf waren die Pumpen nicht stark genug, grosse Massen Wasser zu entwickeln.

Nach diesem verheerenden Feuer sind folgende Schlussfolgerungen für diese feuersicheren Gebäude zu ziehen. Wäre der Brand in dem Home Life Insurance-Gebäude ausgebrochen, so wäre derselbe mit Leichtigkeit durch lokale Löschvorrichtungen erstickt worden. Hätten sich ferner eiserne Läden an dem Lichtschacht B befunden, so wäre selbst bei Glühendwerden derselben der Verlust von Fensterrahmen vielleicht der einzige Schaden gewesen. Hätte ferner das Material der Strassenfront aus Ziegeln mit Terracotta bestanden, anstatt aus Marmor, so würden wohl Bürsten und Seife genügen, um die vollständige Wiederherstellung zu bewerkstelligen.

Es ist somit bewiesen, dass es verbunden mit den nöthigen Vorkehrungen möglich ist, wirklich feuersichere Gebäude herzustellen und es mag hier noch bemerkt werden, dass das infrage stehende Gebäude bei dem zur Zeit des Feuers herrschenden Orkane zum mindesten das Häusergeviert. vielleicht einen ganzen Stadttheil vor dem Untergange bewahrt hat.

New-York, Dezember 1898. Fritz Huberti, Arch.

Dieser Artikel erschien zuerst am 08.02.1899 in der Deutsche Bauzeitung.