Was die Mode bringt – Juni 1900

Der Skeptiker, der behauptete, daß die Frauen beneidenswert seien, da ihnen die Qualen langer Erwägungen unbekannt wären, ist wohl unverheiratet gewesen und hat niemals die Variationen des inhaltvollen Satzes: „ich habe nichts anzuziehen“ persönlich vernommen.

Viermal im Jahr, zu Beginn der Jahreszeiten, finden die Seelenkämpfe angesichts der vielen Dinge statt, die zur Verschönerung der Frau so unumgänglich notwendig sind. In diesem Jahr wird die Wahl unter den reichhaltigen Sommerstoffen besonders schwer. Unter dem Namen Toile de soie erscheint soeben eine Art Leinengewebe mit Seide, das berufen ist, den ersten Platz unter den Stoffen der Sommersaison einzunehmen. Vollständig an Seide gemahnend, verbindet es den Glanz der Seidenstoffe mit dem duftigen Eindruck der Leinenbatistgewebe und wird hauptsächlich in den matten Pastellfarben, in Porzellan- und Lavendelblau, Heliotrop und Corail, von ganz schmalen oder schmalen und breiteren weißen Streifen durchzogen, getragen werden. Originell wirken die Stoffe, deren Grund schwarz ist und die durch die Eigentümlichkeit des Gewebes einen grauen Schimmer erhalten, der ihnen das Düstere der schwarzen Farbe nimmt, aber dennoch den Charakter des Einfachen und Dunklen bewahrt. Zephyr mit Seide oder gestickter Batist auf farbigem Untergrund aus lavendel-farbenem oder leuchtendem Blau, ja selbst kirschfarbenem Rot wird für die kommenden „Hundstage“ ebenso beliebt sein wie die Barege- oder Grenadinegewebe, die teils dicht, teils mit Seide durchschossen oder von fingerbreiten, durchsichtigen, a-jour- artigen Streifen durchzogen sind und dann auf das einen Ton hellere oder dunklere Taffetfutter freien Durchblick gestatten. Neben den seit Jahren sehr beliebten Foulards, die sich auch fernerhin in neuen Kettenmustern, Punkten mit Streifen, Blumenkonturen mit Ringen u. s. w. behaupten, tauchen die Batist- und Satinfoulards auf neue Kompositionen, die im Preis niedriger, in der Haltbarkeit höher stehen als die Foulards und dabei die gleiche Wirkung erzielen. Des größten Erfolgs aber werden sich die unter dem Namen japanische Waschseide in den Handel gebrachten, unendlich leichten, batistdünnen Seidengewebe zu erfreuen haben, die nicht nur waschbar sind, sondern nach der Wäsche an intensivem Seidenglanz gewinnen, was ihnen vor den Foulards, die nach der chemischen Reinigung weich und stumpf werden, einen außerordentlichen Vorzug verleiht.

1. Empfangstoilette aus hortensiablauer Faille mit Ueberwurf aus Valenciennesspitzen und Watteaufalte aus plissiertem weißem Seidemusselin
2. Straßenkleid aus biskuitfarbenem Tuch mit venezlanischer Spitze
3. Rennplatztoilette aus blumigem Linon auf rosa Taffet

Was die Art der Verarbeitung dieser Stoffe betrifft, so scheint der Geist der Internationalität, der über der Pariser Weltausstellung schwebt, sich auch auf die Moden des diesjährigen Sommers übertragen zu wollen. Man trägt so ziemlich alles, von dem glatten, sogenannten „englischen“ Kleid, das in England bekanntlich von niemand getragen wird, bis zu den Kostümen im Empire- oder Rokokostil. Sehr originell ist die Toilette in Abb. 1. Ueber einem Unterkleid aus hortensiablauer matter Faille fällt ein Spitzenüberwurf von echten Valenciennes, der an den Seiten den Konturen des eng anliegenden Prinzeßunterkleides folgt, vorn lose hängt und an der Brust mit einem Tuff hortensiablauen Seidenmusselins gerafft wird. Eine tiefe Watteaufalte hält im Rücken eine Wolke plissierten weißen Seidentülls zusammen, der an seinem unteren Rand mit winzigen hortensiablauen Tüllrüschen garniert, in einer kleinen Schleppe endet. Enganliegende durchsichtige Spitzenärmel, die in mehreren Plisseevolants aus weißem und hortensiablauem Tüll enden, und ein in Fältchen gelegtes weißes Tüllband um den Hals vervollständigen diese ungemein duftig wirkende Toilette, die durch einen völlig schwarz Perlenaigretten und Reiher gezierten, breitrandigen Hut eine originelle und sehr wirkungsvolle dunkle Vote erhält.

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Den sogenannten „Ausstellungsrock“, der unter dem Namen „jupe de l’exposition“ die engen Futteralröcke des Vorjahrs endgültig verdrängt hat, veranschaulicht Abb. 2.

In festen Steppnähten, die sich über die Hüften den Formen des Körpers anschmiegen, öffnet sich der in tiefe Falten gelegte Stoff in Kniehöhe, um weit und lose zu allen Seiten herabzufallen, wie unsere Abbildung deutlich erkennen läßt. Unser Modell ist aus biskuitfarbenem, dünnem Tuch gearbeitet. Den Bolero, der sich in den Sommertoiletten gewiß einer außerordentlichen Beliebtheit erfreuen wird, umrandet an seinem Ausschnitt und dem in Taillenhöhe endenden spitzen Vorderteilen ein nach unten breiter werdender, havannafarbener Sammetvorstoß, dessen Uebergang zum Tuch eine Guirlande venezianischer Spitze vermittelt. Die aus hellhavannafarbenem Taffet mit der gleichen Spitze bedeckte Weste, die nur handbreit sichtbar wird, ist taillenartig unter dem Bolero festgenäht, unter dem sie seitlich geschlossen wird. Den gleichen Aufputz weisen die Aermel am Handgelenk auf, das wie die halbe Hand von rund geschnittenem braunem Taffet bedeckt wird, den venezianische Spitze verschleiert. Die weiße Tüllschärpe, die ein Plisseevolant fichuartig umgiebt und ein weiterer, von Rüschen abgeschlossener Volant ziert, findet in dem originellen geschwungenen Hut aus italienischem Reisstroh, dessen unterer Rand mit gezogenem, biskuitfarbenem Tüll abgefüttert ist und den ein dunkler Sammetstreifen abschließt, eine harmonische Ergänzung.

Von duftiger und eleganter Wirkung ist die Sommertoilette in Abb. 3 aus blumigem Linon, durch den ein Unterkleid aus rosa Taffet schimmert, das nur an der Taille mit dem Oberkleid fest zusammenhängt. An dem unteren Saum des völlig lose fallenden Kleides bilden Sammelbänder von zwei verschiedenen Breiten eine einfache und doch originell wirkende Zeichnung, die oben auf der Taille durch ein breites Sammetband aufgenommen wird. Blusenartig faßt der breite, aus weicher rosa Seide lose gewundene Seidengurt die Falten der Taille willkürlich zusammen, und durch die in Abständen von etwa 10 cm in Lingeriequerfalten gelegten Aermel schimmert leise der rosige Ton des seidenen Untergrundes, der am Hals durch den von dem Sammetband abgegrenzten Spitzeneinsatz schärfer hervortritt.

Den Eindruck dieser duftigen Toilette erhöht eine glockenförmige große Capeline, die eine dichte Guirlande matter und tiefrosiger Heckenrosen mit ihrem Laub umgiebt und aus deren Mitte chiffonnierter rosenfarbener Tüll als wirkungsvolle Folie des dunklen Laubes hervorleuchtet.

4. Sommerkleid aus korallenfarbener Toile de soie
5. Paletot aus hellgrauem Tuch mit Silberschnüren

Eine Illustration der eingangs erwähnten mit Seide verarbeiteten Leinengewebe bietet unsere Abb. 4, die dank ihrer einfachen und doch überaus kleidsamen Machart sich ganz vorzüglich zur Verarbeitung in allen möglichen Stoffen empfiehlt. Unser Bild zeigt über einem mit sechs gezogenen kleinen Volants gezierten Rock aus korallenfarbener Toile de soie einen oben anliegenden, unten loser fallenden Ueberwurf aus dem gleichen Stoff, auf dem sich seidenglänzende, gleichfarbige Punkte und zarte schwarze und weiße Streifen überaus wirkungsvoll von dem hellkorallenfarbenen, seidigen Fond abheben. Schmale schwarze Sammetbändchen umranden die Volants und klettern, leiterförmig um den Ueberwurf gesetzt, am Vorderteil des Rockes empor, um sich im Gürtel zu verlieren. Die völlig in winzigen Fältchen genähte Taille, an deren linkem rundem Halsausschnitt sich eine dichte Rosette der gleichen Sammetbändchen hervorhebt, findet seitlich – ebenfalls links – an der Taille durch eine zweite große Sammetbandrosette, die durch herabhängende Bändchen mit der oberen zusammenhängt, einen kleidsamen Abschluß. Der neusten Mode entsprechend, endet der aus dem Kleiderstoff angefertigte Aermel unterhalb des Ellbogens, um einem zweiten aus gefaltetem weißem Seidenmusselin Platz zu machen, der den Uebergang zum weißen Bandschuh auf das angenehmste vermittelt.

Die beginnende Reisezeit lenkt das Interesse der reiselustigen Damen auf die Mäntel. Unsere Abb. 5 veranschaulicht einen praktischen, völlig lose gearbeiteten langen Paletot aus silbergrauem, leichtem Tuch, dessen drei nach vorn rund abgeschrägte Kutscherkragen eine dicke matte Silberschnur umgiebt. Ein einziger, ebenfalls rund geschnittener Aufschlag, der nur auf der rechten Seite gebildet wird, findet seinen Abschluß in Taillenhöhe bei dem ersten der Knopflöcher, die von Imitationen alter Silbermünzen ausgefüllt werden. Aus dem hohen Umlegekragen aus silbergrauer Seide, die mit dem Futter des Paletots übereinstimmt, fallen zwei Enden Brüsseler Spitzen lose herab, während ein Arrangement von punktiertem Brüsseler Tüll, aus dem sich hinten zwei grauschattierte Federposen emporheben, dem leichten Chasseurhut einen frischen und eleganten Anstrich verleiht. Aehnlich den modernen englischen Herrenpaletots weist unser Modell klappenlose, rund geschnittene Taschen auf.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche, er war mit „Pompon“ gekennzeichnet.