Amerikanische Künstlerinnenlaunen

Ivy Trautmann schweigt im Anhören von Ivy Trautmanns "little music"

Man langweilt sich nicht in amerikanischen Bühnenkreisen. Du lieber Gott, weshalb sollte man es auch? Man hat alles, was man zum Leben braucht: schöne Toiletten, kostbare Perlenketten, Automobile, Equipagen und Lakaien, ein Landhaus und zumeist auch ein kleines Palais in einer „guten“ Avenue, wo man sich zwischen Millionären befindet, also in passender Gesellschaft.

Man gibt Bälle und kleine Empfänge und besitzt Reit- und Wagenpferde, winzige King Charles, schlanke sibirische Windhunde und sprechende Papageien, zuweilen sogar auch einen Gatten, zur Vervollständigung der Menagerie. Man spielt natürlich auch Theater, da man nun einmal der Bühne angehört, aber nur, wenn man eine Rolle gefunden, die dem Publikum Sensationen aller Arten bietet, denn der Amerikaner geht nicht ins Theater des gegebenen Stückes, sondern seiner Stars wegen. Und diese wissen, was sie ihrer schwierigen Stellung als „Lieblinge“ schuldig sind. Sie beschäftigen die Phantasie des Publikums so ausgiebig mit den Vorkommnissen aus ihrem Privatleben, mit ihren Automobilunfällen, Selbstmorden aus Liebe, Juwelendiebstählen (nicht unter einer halben Million) und andern weniger gefahrvollen Dingen, daß die träge Volksseele allmählig, nach Ablauf einer wochenlangen, wirksamen Reklame dieser Art, genügend vorbereitet ist, um das Auftreten der Künstlerinnen mit dem einer solchen Vorarbeit entsprechenden Enthusiasmus zu begrüßen. So spielte z. B. eine amerikanische Schauspielerin, Julia Morrison, die einen ihrer Kollegen auf offener Szene erschossen hatte, da er, wie sie behauptete, sie in ihrer Frauenehre beleidigte, in einem eigens für sie geschriebenen Drama diese Episode aus ihrem bewegten Leben und schoß allabendlich unter dem Beifall der Menge ihren Beleidiger üher den Haufen. Und eine andere, die amerikanische Tragödin Julia Arthur, ließ einige Tage, nach dem sie in einem Stück debüliert hatte, das sich dank dem Glanz ihrer Kostüme zu einer Sehenswürdigkeit gestaltete, verkünden, daß sie nach dem Akt, in sie in der Krönungsrobe zu erscheinen habe, die mit dem reichen Edelsteinbesatz an hundert Pfund schwer sei, infolge dieses Gewichts und der zehn Pfund schweren, juwelenbedeckten, goldenen Krone und weiterer Schmuckgegenstäände, die ebenfalls an zehn Pfund wogen, Abend für Abend mehrere Minuten lang in Ohnmacht liege. Da alle guten Dinge drei sind, wurde die Länge dieser Ohnmacht gleichfalls mit zehn Minuten angegeben. Das Publikum fühlte sich verpflichtet, die selbstlose Aufopferung der Künstlerin, die es eigentlich nicht nötig hatte, in so lang andauernde Bewußtlosigkeit zu versinken, da ihr Gatte, Mr. Cheney, zu den bekanntesten Bostoner Millionären zählt, durch zahlreichen Besuch und entsprechende Ovationen für dieses so schwere Opfer gebührend zu entschädigen.

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"Mir friert", meinte auf englisch Della Nevins, und schon hing ihr Della Nevins ein wärmendes Kleidunsstück um
“Mir friert”, meinte auf englisch Della Nevins, und schon hing ihr Della Nevins ein wärmendes Kleidunsstück um
Rose Coghlan bei der Wahrsagerin Rose Coghlan (Enthüllt die Vergangenheit)
Rose Coghlan bei der Wahrsagerin Rose Coghlan (Enthüllt die Vergangenheit)

Auch Sarah Bernhardt entzog sich diesen für den Erfolg einer Künstlerin in Amerika unumgänglich notwendigen Vorreklamen nicht, für die sie, wie böse Menschen behaupten, bereits von Natur aus besonders begabt sein soll. Eine Anzahl Cowboys hätte beschlossen, so hieß es, den Eisenbahnzug, der die große Sarah trug, anzuhalten, die Gefeierte daraus zu rauben und sich nach ihrem Lager zu entführen. Dort sollte die Göttliche, anstatt als Gefangene behandelt zu werden, mit „kaiserlichen“ Ehren empfangen und angefleht werden, als kostbarstes Lösegeld einige Szenen aus ihren Glanzrollen – jenen natürlich, die sie in Amerika verkörpern sollte – vorzutragen. Aber das Schicksal waltete anders. Die kunstenthusiastischen Cowboys „vergriffen sich im Zug, sie legten nicht Sarah mit Beschlag, sondern eine Anzahl reicher Passagiere deren elendes Gold ihnen nur ein geringes Aequivalent für die entgangenen Wonnen bieten konnte.

Ein Ehrenhandel zwischen Cecil Spooner und Cecil Spooner
Ein Ehrenhandel zwischen Cecil Spooner und Cecil Spooner
Die reservierte Alice Fisher zum five 'o clock tea bei der klatschsüchtigen Alice Fisher
Die reservierte Alice Fisher zum five ‘o clock tea bei der klatschsüchtigen Alice Fisher

Aber schließlich nutzt sich auch diese Art der Reklame ab. Das Publikum, das schon zu viele Entführungen und Diebstähle, Selbstmorde und Lebensgefahren im Dasein ihrer Lieblinge im Lauf der Jahre an sich vorüberziehen lassen mußte, verlangte nach Neuerem. Und diese Neuheit, im Grunde nur eine Wiederholung einer fruheren Mode bedeutet, bieten ihm gegenwärtig sechs der bekanntesten amerikanischen Schauspielerinnen, die sich in sogenannter Doppelgängerweise zweimal auf einem Bild photographieren ließen.

Ivy Trautmann schweigt im Anhören von Ivy Trautmanns "little music"
Ivy Trautmann schweigt im Anhören von Ivy Trautmanns “little music”
"How do you do?", sagte Catherine Calhoun zu Catherine Calhoun
“How do you do?”, sagte Catherine Calhoun zu Catherine Calhoun

Diese Art der Photographie datiert seit länger als dreißig Jahren, und ein Berliner Photograph, der die Naivität besaß, sie sich vor ungefähr sechs bis sieben Jahren patentieren lassen zu wollen, mußte diese Absicht auf Einspruch einer Anzahl seiner Berufsgenossen wieder aufgeben. Man bewerkstelligt das Zustandekommen dieser Bilder, die die gleiche Person in zwei verschiedenen Stellungen und eventuell auch Kostümen auf einem einzigen Blatt vereinigen, in der Weise, daß man zwischen Objektiv und Platte einen Einsatz schiebt, der in Form einer Doppeltür aus Papier oder Pappe gefertigt sein kann. Man läßt nun den einen Flügel dieser Doppeltür geöffnet, während der zu Photographierende die von ihm gewünschte Stellung einnimmt. Ist diese Aufnahme beendet, dann wird der erste Flügel dieser Doppeltür geschlossen und der bis jetzt geschlossene geöffnet, um die betreffende Person in der zweiten Stellung zu photographieren. Handelt es sich um die dreifache Aufnahme einer Person, so muß der papierne Einsatz Einschnitte erhalten, die drei Klappen bilden, von denen stets je eine während des Photographierens nach oben aufgeschlagen wird. Als selbst verständliche Bedingung des Gelingens dieser Bilder muß darauf geachtet werden, daß keiner der auf dem „Tatort“ befindlichen Gegenstände auch nur um Haaresbreite gerückt wird und die Exposition der Aufnahmen auf die Sekunde gleich lang zu erfolgen hat, um nicht verschiedene Helligkeitstöne zu erzielen, die die Harmonie der Bilder zerstören würden. Eine photographische Spielerei also, die ein Kunststück werden kann, wenn sie in einer Vollendung geübt wird, wie dies auf unsern hier wiedergegebenen Abbildungen der Fall ist.

Dieser Artikel von J. Lorm erschien zuerst in Die Woche 48/1903.