Das Rathhaus in Wernigerode

Es ist leider nicht das erste Mal, dass der Restaurationsbesen über das altehrwürdige, schöne Rathhaus zu Wernigerode hinwegfegt.

Wie die obenstehenden beiden Photographien zeigen, ist das Bauwerk schon seit den letzten 20 Jahren bedeutend „verschönert“ worden. Der Abbruch des einfach malerischen Seitenbaues mag noch immerhin verschmerzt werden; aber in der Seele weh thut jedem Kunstverständigen das Fehlen des Hauptmotivs, des überschiessenden Mitteldaches.. Die Zusätze sind nicht minder schmerzlich. Warum musste der alte Schieferbehang der oberen Thurmgeschosse durch Fachwerk und Fenster ersetzt werden? Wer hat die Wasserspeier, wer namentlich die Treppengeländer und Treppenpfosten verbrochen ?

Gegenwärtiger Zustand
Früherer Zustand

Im Hinblick auf diese bedeutende Vorarbeit im Geiste des verehrten Johann Ballhorn hat vielleicht die auf S. 363 erwähnte Rafaelische Leistung den Anspruch, in erheblich milderem Lichte zu erscheinen.

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Aber vor solchen Bauwerken und ihrer modernen Behandlung muss wieder und wieder gefragt werden: Wann endlich wird in Deutschland von Reichswegen eine Stelle errichtet, die über die Erbstücke unserer Vorfahren mit treuem und scharfem Auge wacht, dass ihnen kein Leids geschehen kann, weder in böser noch in guter Absicht? Auch an anderen Orten geschieht ja heute noch Aehnliches, So bereitet man in Bremen dem berühmten Rathhause im Innern ein neues Kleid, über das sich sicherlich die späteren Geschlechter wundern werden. Nach langen Mühen rettet das Reich jetzt den alten römischen Grenzwall, nachdem es griechische Schätze in Olympia und Pergamon gehoben hatte. Aber die vorhandenen Schätze unseres eigenen Volkes sind nicht minder rettungsbedürftig; denn sie sind werthvoll und heilig.

Wir sollen sie nicht allein behalten, sondern uns den ungetrübten Genuss daran nach keiner Richtung verderben lassen. Auch von ihnen gilt das Wort:

Was Du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.

München, im Juli 1894. F. W. Rauschenberg.

Dieser Artikel erschien zuerst 1894 in der Deutsche Bauzeitung.