Ein Straßenbild aus London

Die äußere Physiognomie des Straßenlebens von London und Paris ist eine von Haus aus verschiedene, dem Lande, dem Volk, dem Klima und den öffentlichen Verhältnissen entsprechend. Der weiche helle Farbenton des Pariser Himmels leiht dem Gesammtbilde von Paris schon ein anderes Licht und Leben, als die mit Kohlendunst und Themsenebel geschwängerte graubraune Londoner Atmosphäre, und so konkrastiren beide Hauptstädte schon von Natur aus.

Das Londoner Straßenleben ist ernster und großartiger als das Pariser, das seit der Kommune von 1871 nicht mehr auf seiner früheren Höhe steht. Vor dem Kriege von 1870/71 trug Paris in seinem Straßenleben das Gepräge einer sonntäglich geputzten Stadt von Tand und Flitter, von Zierlichkeit und Grazie, während das Londoner Straßenleben von jeher einen mehr werktäglichen, geschäftsmäßigen, ernsten und soliden Charakter zeigte. Heiterer und bewegter erscheint das Pariser Straßenleben auch heute noch, als das auf solidem Wohlstand und geschäftlichem Wetteifer, auf der ganzen ernsten Tüchtigkeit und gediegenen Größe der britischen Nation aufgebaute Londoner Straßenleben, das aber dennoch einen tieferen und bleibenderen Eindruck macht. London hat keinen Seinepräfekten Hausmann gehabt, welcher nach der Laune seines Herrscherpaares neue Boulevards und Avenuen mit Palästen wie durch Zauberschlag unter einem Verbrauch von Milliarden hervorrief. Allein London erneuert und verschönert sich dennoch ebenfalls in stetiger Weise. Zeuge dafür mag unser Straßenbild aus dem elegantesten Theile von London sein, welches den freien Platz von Hyde-Park-Corner darstellt.

Hier, wo der Straßenverkehr der eleganten Welt der Hauptstadt am allergrößten ist, haben seit Jahresfrist bedeutende Veränderungen und Verschönerungen stattgefunden. Die Reiterstatue des Herzogs von Wellington, welche früher seinem Wohnsitze Apsleyhouse gegenüber auf einer Art Triumphbogen stand, ist nun beseitigt und im Lager von Aldershott aufgestellt worden, und an deren Stelle steht nun gerade vor Apsleyhouse inmitten des Platzes die neue bronzene Reiterstatue des Herzogs von Wellington von J. E. Böhm, welche der früheren künstlerisch weit überlegen ist.

Der Triumphbogen, auf dem die andere Statue früher stand, ist dagegen von seinem ehemaligen Standort etwas nach Osten verrückt worden und bildet dort nun den Eingang zum Greenpark. Dadurch hat dieser Platz, der zu den schönsten von London gehört und worauf sich täglich Hunderttausende von Menschen und Tausende von Fuhrwerken jeder Art bewegen, ungemein gewonnen und weist eine der belebtesten und elegantesten Seiten des imposanten Londoner Straßenlebens auf.

Dieser Artikel erschien zuerst in Heft 8/1890 des Das Buch für Alle.