Entwurf zu einem Rathhause für Dessau

Arch.: Erdmann & Spindler in Berlin. Ueber den Ausgang des im Januar d. J, ausgeschriebenen Wettbewerbs um den Entwurf eines Rathhauses für Dessau . ist bereits auf S. 536 kurz berichtet worden.

Derselbe ist – trotzdem die grosse Mehrzahl der eingegangenen 51 Arbeiten von künstlerischer Bedeutung war – äusserlich insofern kein ganz befriedigender gewesen, als die Preisrichter von der Ertheilung eines ersten Preises Abstand nehmen zu müssen geglaubt haben, so dass nur zwei zweite und ein dritter Preis zur Vertheilung gelangten, während zwei weitere Entwürfe angekauft wurden.

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In Wirklichkeit dürfte sich indessen ein günstigerer Erfolg herausstellen, da in Dessau Neigung vorhanden ist, eine der beiden an erster Stelle ausgezeichneten Arbeiten, den Entwurf von Erdmann & Spindler in Berlin zur Grundlage der Ausführung zu wählen. Dieser Umstand bestimmt uns dazu, wenigstens den soeben genannten Entwurf unseren Lesern vorzuführen, während die augenblickliche Beanspruchung unseres Raumes es uns leider nicht erlaubt, auf die übrigen Arbeiten des Wettbewerbs einzugehen.

Entwurf für ein Rathhaus für die Stadt Dessau – Grundriss

Der Plan der Hrn. Erdmann & Spindler, von dem wir auf S. 564 u. 565 die Grundrisse des Erdgeschosses und des 2. Obergeschosses, den Aufriss der Marktfront und eine perspektivische Ansicht mittheilen, dürfte die Bevorzugung, die ihm zutheil geworden ist, zunächst der sehr geschickten Lösung des Grundrisses verdanken, die den im Programm gestellten Forderungen aufs beste gerecht wird. Um einen inneren Hof, dem bei der Beschränktheit des Bauplatzes allerdings nur mässige Abmessungen gegeben werden konnten, läuft ein zusammenhängender Korridor, dessen vorderer, im Hauptflügel liegender Theil bei einer Breite von 4 m immerhin einen hallenartigen Eindruck machen wird, zumal er seitlich auf die an einer Hofseite liegende Haupttreppe, in der Längsaxe auf die au einer Seitenfront liegende grössere Nebentreppe sich öffnet. Eine zweite kleinere Nebentreppe mündet auf den neben der Haupttreppe liegenden Korridortheil, Die Lage dieser drei Treppen bestimmt zugleich diejenige der drei Hauseingänge, von denen die an der Hinterfront bezw. an der Schloss-Strasse liegenden mit den betreffenden Nebentreppen unmittelbar verbunden sind, während der Haupteingang vom Markte her durch eine stattliche Vorhalle auf die Haupttreppe führt. Es ergiebt sich hieraus ein ausserordentlich klarer und übersichtlicher Organismus, innerhalb dessen die Vertheilung der programmässig geforderten Räume unschwer sich bewirken liess.

Entwurf für ein Rathhaus für die Stadt Dessau

Dieselbe ist derart erfolgt, dass im Untergeschoss unter dem mittleren Theile des Marktflügel der (durch einen besonderen Eingang von der Schloss-Strasse zugängliche) Rathskeller, die 3 Wohnungen für den Wirth, den Kastellan und den Heizer, sowie die Räume für Heizung usw., im Erdgeschoss die Kassen und die Polizei, im ersten Obergeschosse die Geschäftszimmer der Verwaltung (das Zimmer des Oberbürgermeisters in der Axe der Haupttreppe mit einem Balkon nach dem Markte), im zweiten Obergeschosse die Sitzungssäle, das Standesamt und das Stadtbauamt untergebracht sind. In letzterem Geschosse sind die Säle an der Marktfront derart an einander gereiht, dass sie bei aussergewöhnlichen Veranlassungen sehr gut als ein zusammenhängendes Festlokal sich benutzen lassen.

Dem klaren Organismus des Grundrisses entspricht ein ebenso klarer, in glücklicher malerischer Gruppirung gestalteter Aufbau, In demselben ist der dem Markte zugekehrte Hauptflügel durch die grössere Höhe des zweiten Obergeschosses und das über demselben angeordnete Dachgeschoss über die niedrigere Masse der 3 an verhältnissmässig engen Strassen liegenden Hinterfügel empor gehoben. Er wird seitlich durch 2 Giebel abgeschlossen, während die Marktfront durch einen Giebel über dem Gemeinderaths-Saale und den neben demselben aufragenden, die Vorhalle, das Zimmer des Oberbürgermeisters und den Vorsaal der Festräume bezeichnenden Thurm belebt wird. An der rechten, der Zerbster Strasse zugekehrton Seitenfront ist in der Axe der Rathhaus-Strasse ein Erker ausgekragt.

Entwurf für ein Rathhaus für die Stadt Dessau – Perspektive

Nicht ganz so glücklich ist die architektonische Ausgestaltung des Aufbaues ausgefallen, welche die Preisrichter wohl nicht mit Unrecht als etwas trocken bezeichnet haben; insbesondere die Erscheinung des Thurmes entbehrt des Formenreizes, den man gerade diesem Bautheile wünschen möchte. Indessen ist das ein Mangel, der sich bei einer weiteren Bearbeitung des Entwurfs unschwer wird beseitigen lassen und der gegen die sonstigen, im Gedanken der Gesammt-Anlage enthaltenen hohen Vorzüge desselben daher kaum ins Gewicht füllt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 07.11.1896 in der Deutsche Bauzeitung.