Mord in Konitz

In der Chronik der blutigen Unthaten nimmt der Mord in Konitz sicherlich die erste Stelle ein. Alle Kreise unseres Volkes befinden sich in hochgradigster Aufregung, die Regierung selbst macht zur Feststellung des Mörders Anstrengungen, wie sie bisher bei uns in der Kriminal- und Rechtsgeschichte unerhört waren.

Trotz der Aussetzung einer Belohnung von im ganzen 26 000 Mark verschwinden die Spuren des oder der Mörder immer mehr, die Schleier, die über der grauenvollen Blutthat ruhen, verdichten sich zu einem undurchdringlichen Dunkel, und es bleibt in hohem Grad zweifelhaft, ob jemals der geheimnisvolle Mord vor dem irdischen Richter seine Sühne finden wird. Der in bestialischer Weise zerstückelte Leichnam des unglücklichen Gymnasiasten Winter ist bisher noch nicht einmal in seiner Gesamtheit aufgefunden worden, und gerade deswegen tritt die unmenschliche Grausamkeit, die bei der Abschlachtung des jugendlichen Opfers obgewaltet hat, in so entsetzlicher Art in die Erscheinung. Selbstverständlich sind an den Mord die weitestgehenden Vermutungen geknüpft worden, die sich in Konitz selbst und in der Umgebung des Städtchens zu einem Fanatismus verdichtet haben, der die ernstesten Maßnahmen der Behörden hervorgerufen hat. Es steht in jenen Gegenden thatsächlich der Friede zwischen den verschiedenen Konfessionen und Bevölkerungsklassen auf dem Spiel, die Unruhen haben bereits einen bedrohlichen Charakter angenommen, und es wird der ganzen Autorität der Staatsgewalt bedürfen, um Ausschreitungen, die sich gegen Unschuldige richten, zu verhüten.

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Jedenfalls aber konnte es bei den näheren Umständen, unter denen die That vor sich ging, nicht ausbleiben, daß der Phantasie und der Mythenbildung der weiteste Spielraum überlassen werden mußte. In einer kleinen Landstadt von ungefähr 10 000 Einwohnern konnte, unzweifelhaft in einem geschlossenen Raum, ein Mensch kunstgerecht – wenn man so sagen darf – abgeschlachtet und zerstückelt werden. ohne daß ein anderer außer den Beteiligten von der Mordthat etwas wahrnahm, die Spuren der That wurden so gründlich verwischt, daß trotz der angestrengtesten Nachforschungen nicht einmal der Ort der That festgestellt werden konnte, und verschiedene Teile der Leiche sind bis heute noch nicht einmal aufgefunden obgleich man mit Hilfe von Spürhunden und Zuziehung der Schulen und Vereinigungen wiederholentlich die ganze Umgebung absuchte. Eine solche That mußte Grauen und Entsetzen hervorrufen, das Gefühl der Rachsucht mußte namentlich bei einer weniger gebildeten Bevölkerung zu hellen Flammen aufflackern, vom menschlischen Standpunkt allein ist die Haltung der Konitzer Bevölkerung gewiß nicht unverständlich. Die außergewöhnliche Höhe der Belohnung läßt, wie bemerkt, darauf schließen, daß die maßgebenden Kreise auf das bestimmteste entschlossen sind, niemand zu Liebe und niemand zu Leide die Schuldigen zu ermitteln.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche (Bilder vom Tage). Das Beitragsbild ist ein Beispielbild und steht nicht in Verbindung zum Originalartikel.