Der Entwurf zum Rathhausbau für Leipzig

Leipzigs Öffentliche Meinung wird augenblicklich durch die den Stadtverordneten zur Entscheidung vorliegende Frage des Rathhausbaues aufs lebhafteste erregt. Seit länger als 14 Jahren steht dieselbe auf der Tagesordnung und schon ein mal ist, vor nunmehr 7 Jahren, der Rath mit einem bestimmten Entwurfe zur Lösung derselben hervor getreten, der jedoch damals die Genehmigung der Gemeinde-Vertreter nicht gefunden hat. Nunmehr hat der Rath durch den Verfasser jenes früheren Plans, seinen Baudirektor Hrn. Hugo Licht, einen neuen Entwurf auf veränderter Grundlage aufstellen lassen und diesen, nachdem er durch eine Anzahl baukünstlerischer Sachverständiger aufs günstigste beurtheilt worden war, wiederum den Stadtverordneten zur Genehmigung der Ausführung unterbreitet.

Letztere haben bereits vor einigen Monaten einen Berichterstatter für die Angelegenheit bestellt und dürften in nächster Zeit über dieselbe befinden. Mittlerweile hat sich aber auch die Presse der Sache bemächtigt und die Theilnahme für sie in die weitesten Kreise der Bevölkerung übertragen. Es sind nicht nur die Vorlagen des Baudirektors an den Rath und die Gutachten der erwähnten Sachverständigen zum Abdruck gelangt, sondern die Hauptzeitung der Stadt, das „Leipziger Tagebl.“, hat es auch zu ermöglichen gewusst, 2 Ansichten des Rathhauses nach dem neuen Entwurf in Holzschnitt-Nachbildung zu veröffentlichen.“ Seither wogt der Kampf der Meinungen über das „Für“ und „Wider“ in der Stadt, deren Tagesgespräch zum guten Theile durch die Frage beherrscht wird, hin und her, zumal nachdem der Rath sich veranlasst gesehen hat, der allgemeinen Theilnahme an derselben durch öffentliche Ausstellung des bezgl. Entwurfs Rechnung zu tragen.

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Die Architektenwelt kann eine solche Behandlung einer architektonischen Frage nur mit grosser Genugthuung begrüssen. Mögen die Urtheile, welche über den Entwurf gefällt werden, auch zum Theil schief oder von persönlichen Gründen beeinflusst sein, mögen – der sächsischen Eigenart entsprechend – auch mehr als nöthig Haare gespalten und Nebendinge zu Hauptsachen aufgebauscht werden: Das Schauspiel, dass eine ganze Stadt sich mit einer derartigen, anderwärts vielleicht mit vollster Gleichgültigkeit behandelten Angelegenheit so eingehend beschäftigt, ist an sich ein sehr erfreuliches und gereicht der Bevölkerung Leipzigs zum hohen Ruhm. Kommt doch darin das durchaus richtige Verständniss zum Ausdruck, dass die Entscheidung, welche hier gefällt werden soll, für die Erscheinung der Stadt und ihre monumentale Würde auf Jahrhunderte hinaus bestimmend sein wird.

Selbstverständlich ist bei der hohen Bedeutung Leipzigs diese Entscheidung aber zugleich von so allgemeiner Wichtigkeit, dass die baukünstlerischen Kreise von ganz Deutschland sich an ihr betheiligt fühlen dürfen, Für uns ist die Veranlassung, der Frage näher zu treten, überdies eine um so grössere, als die Deutsche Bauzeitung s. Z. auch über die früheren Vorgänge in derselben ihren Lesern ausführlich berichtet hat (Jhrg. 1883, No. 28) und bereits damals mit Entschiedenheit für einen bestimmten, grundsätzlichen Standpunkt eingetreten ist, Wir bekannten uns damals als offene Gegner des vom Rathe befürworteten Licht’schen Entwurfs zum Neubau eines grossen Rathhauses zwischen Markt und Reichsstrasse einerseits, Grimmaische Straße und Salzgässchen andererseits. (Man vergl. die nebenstehende Skizze) Und zwar, weil wir es ein mal aufgrund der in anderen deutschen Städten gemachten Erfahrungen und angesichts der gewaltigen, auf Dezentralisation hindrängenden Expansivkraft Leipzigs für verfehlt hielten, einen kostspieligen einheitlichen Rathhausbau zu errichten, dessen Einrichtungen in absehbarer Zeit für die Stadt doch nicht mehr passen würden – und weil es uns zweitens ebenso barbarisch wie finanziell unvortheilhaft erschien, diesem Vorhaben das werthvollste alte Baudenkmal der Stadt, den aus d. J. 1556 stammenden ehrwürdigen Rathhaus-Bau Hieronymus Lotter’s, sowie die alte Börse aufopfern zu wollen.

Was uns den neuen, nach seiner Gesammt-Anordnung durch den Lageplan auf S. 77 dargestellten Licht’schen Entwurf von vorn herein werthvoll und lieb macht, ist der Umstand, dass der Verfasser, welcher seinen früheren Irrthum mit einer ihm zur Ehre gereichenden Offenheit eingesteht, sich nunmehr ganz auf jenen, s. Z. von uns vertretenen Standpunkt gestellt hat und von der Erhaltung jener beiden alten Baudenkmäler ausgegangen ist.

Lageplan

Sorgfältige, von ihm angeordnete technische Untersuchungen des alten Rathhauses haben ergeben, dass die (nach früheren Annahmen als sogen. Füllmauerwerk hergestellten) Wände desselben bis zum Hauptgesims in gutem Ziegelverbande, bezw. mit trefflichem Mörtel gemauert und vollkommen gesund sind; es bedarf für dieselben lediglich einer Erneuerung einzelner schadhafter Steine und einer Herstellung des Putzes. Dachstuhl und Erkergiebel befinden sich dagegen in sehr schlechtem Zustande und müssen völlig erneuert werden; dies soll selbstverständlich mit genauer Festhaltung der alten Form, jedoch unter Mitverwendung von Eisenkonstruktion für das Dachgerüst und glasirter Steine zur Deckung geschehen. Die für das ältere deutsche Rathhaus so bezeichnende Ladenreihe an der Marktfront soll beibehalten, jedoch im Massivbau hergestellt werden, Als wichtigste, für die malerische Erscheinung des Ganzen aber höchst vortheilhafte Aenderung des Aeusseren ist eine Durchbrechung des Erdgeschosses an beiden Giebeln mittels offener Pfeiler-Arkaden geplant, in welchen die entsprechenden Bürgersteige der zu verbreiternden Grimmaischen Strasse und des Salzgässchens durchgeführt werden sollen. Im Innern des Gebäudes handelt es sieh zur Hauptsache allein um Ausbesserungen und Erneuerung der Ausstattung; nur der grossen Diele des Hauptgeschosses, welche etwas verkürzt, aber vor der Rathsstube erweitert und besser beleuchtet werden soll, ist (mit Beseitigung der 1863 eingebrachten Stützen) ihre alte, in Monier-Konstruktion auszuführende Flachbogen-Decke zugedacht. Die Verwendung des alten Baues für geschäftliche Zwecke soll im wesentlichen die bisherige bleiben; er soll also neben dem Sitzungssaale des Raths, der alten an der Grimmaischen Strasse gelegenen „Rathstube“, eine Reihe verschiedener, auf kleinere Amtszimmer beschränkter Geschäftszweige der städtischen Verwaltung in ihm untergebracht werden,

Die alte, am Naschmarkt gelegene Börse, ein namentlich in seiner Saaldekoration, aber auch in seiner Fassade sehr charakteristischer Barockbau aus dem Ende des XVII, Jahrhunderts, dessen Hinterseite im Erdgeschoss gleichfalls durch eine Arkade für den Bürgersteig der Salzgasse durchbrochen werden muss, soll für die städtische Hauptkasse eingerichtet werden. Um einen Vorraum zu schaffen ist es erforderlich, den Bau (unter Beibehaltung der alten Fassade) nach dem Naschmarkt zu um 1 Axe zu verlängern.

Schmale, im Erdgeschoss zu einer offenen Säulenhalle aufgelöste Verbindungs-Bauten, die auf diesen Vorraum münden, und denen an der Grimma’ischen Strasse ein ähnlicher Bau von grösserer Tiefe entspricht, setzen das Hauptgeschoss des alten Rathhauses in Zusammenhang mit den für die Zwecke der städtischen Verwaltung zu errichtenden Neubau, der als 4geschossige Anlage mit 2 inneren Höfen aufgeführt, den Block zwischen Naschmarkt und Reichsstr. sowie Salzgasse und Grimma’ische Strasse einnehmen soll. Ausgangspunkt für seine nicht ganz symmetrische Anlage ist die Rücksicht auf Erhaltung einer grossen, in das Erdgeschoss des Mittelbaues fallenden gewölbten Hallen-Anlage des XVI. Jahrh., des sogen. „Burgkellers“ gewesen, die nach der Reichsstr. zu zwar um ein weniges verkürzt, dafür aber seitlich um eine Axe verbreitert werden soll und entweder wiederum für eine Wirthschaft oder auch als großer Geschäftsraum für Handelszwecke verwendet werden könnte. Ueber derselben hat sich von selbst der Platz für den durch eine sehr stattliche Treppen-Anlage vom Naschnarkt zugänglichen Sitzungs-Saal der Stadtverordneten ergeben. Neben letzterem sind einige kleinere Säle frei gehalten worden, die in Verbindung mit ihm erforderlichenfalls für öffentliche Feste benutzt werden könnten.

Auf die Vertheilung der sonstigen, sämmtlich gut zugänglichen und gut beleuchteten Räume des Hauses einzugehen, hat für diese Stelle wohl keinen Zweck. Es wird die Angabe genügen, dass das Erdgeschoss der 3 äusseren Seiten des Blockes Läden enthalten soll, während die 3 übrigen Geschosse, und, falls dies nöthig ist, auch noch das Dachgeschoss in Amtsräume eingetheilt wird. An der Ecke der Grimma’ischen Str., gegenüber dem alten Hause, ist das Amtszimmer des Hrn. Ober-Bürgermeisters gedacht.

Die Fassaden sollen im Anschlusse an den Stil des Lotterschen Baues in einer für die Leipziger Häuser des XVI. Jahrhunderts bezeichnenden Ausführungsweise hergestellt werden, welche Hr. Baudirektor Licht bereits für das schöne Prediger-Wittwenhaus an der St. Nicolai-Kirche angewendet hat, also im architektonischen Gerüst von rothem Rochlitzer Porphyr, in den Flächen verputzt und zum Theil mit Malereien belebt. Die sehr ansprechende Architektur ist im allgemeinen eine einfache, entbehrt jedoch nicht den Schmuck malerischer Erkergiebel, Erker-Thürmchen an den Ecken und Portale.

Entwurf zum Rathhausbau für Leipzig 1889

Die Kosten des nach diesem Entwurfe herzustellenden Rathhausbaues sind i. g. auf eine Summe von 3 572 000 M. veranschlagt, wobei auf 1 qm des neuen Verwaltungsgebäudes 589 M., auf 1cbm desselben 24 M. gerechnet sind, während der nach dem Entwurf von 1882 herzustellende Neubau (ohne die hierbei erforderlichen kostspieligen Veränderungen in der Höhenlage des Geländes) auf 6 401 400 M. veranschlagt war, nach den heutigen Baupreisen aber rd. 8 250 000 M. erfordern würde. Die Bauzeit ist für das zunächst auszuführende Verwaltungs-Gebäude auf 3 Jahre, für die demnächst zu bewirkende Herstellung des alten Rathhauses und der Börse, sowie für die Verbindungs-Bauten auf weitere 2 1/2 Jahre geschätzt.

Der im Vorstehenden kurz beschriebene Entwurf Lichts hat bei den 4 Sachverständigen, denen er zur gutachtlichen Aeusserung vorgelegt worden ist – Hrn. Oberbrth. Prof. Fr, Frhrn. v. Schmidt in Wien, Prof. Anton Springer in Leipzig, Baurth. P. Wallot in Berlin und Prof. G. Hauberrisser in München – als baukünstlerische Leistung einmüthige, zum Theil geradezu begeisterte Anerkennung gefunden, welcher nur der letztgenannte Architekt einige auf Aenderung gewisser Einzelheiten gerichtete Wünsche beigefügt hat. So werthvoll ein von solcher Seite geäussertes Urtheil ist, so kann uns dasselbe doch nicht ersparen, selbst an die Prüfung der Arbeit heran zu treten und die hieraus gewonnene Ansicht freimüthig kund zu geben. Wir werden hierbei zwischen allgemeinen und besonderen Gesichtspunkten zu unterscheiden haben.

Die Grundfrage, von welcher alles Weitere abhängt und welche daher z. Z. auch zu Leipzig im Vordergrunde der Erörterung steht, ist natürlich diejenige, ob das alte Rathhaus sowie, in zweiter Linie, die alte Börse und der Burgkeller als Baudenkmäler von geschichtlichem und künstlerischem Werthe erhalten bleiben sollen oder ob man sie zur Gewinnung eines Bauplatzes für ein neu zu errichtendes, grosses, einheitliches Rathhaus opfern will?

Ganz abgesehen davon, dass wir unseren Standpunkt zu dieser Frage bereits vor 7 Jahren entwickelt haben, kann die Beantwortung derselben vonseiten eines Architekten, der die geschichtliche Stellung seiner Kunst zu würdigen weiss, wohl ebenso wenig zweifelhaft sein, wie vonseiten eines Vaterlandsfreundes, der für die Denkmäler deutscher Vergangenheit ein Herz besitzt. Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir es aussprechen, dass die Absicht einer Vernichtung des ehrwürdigen Lotter’schen Rathhaus-Baues, um an seine Stelle ein immerhin zweifelhaftes Erzeugniss unserer Tage zu setzen – dank unserer heut erlangten Einsicht – in ganz Deutschland einen Schrei der Entrüstung erwecken würde. Dass sich früher Architekten gefunden haben – und unter ihnen auch Hr, Baudirektor Licht selbst – welche eine derartige Absicht vertraten, erklärt sich wohl nur daraus, dass man in vorschneller Weise an die schon vor 50 Jahren behauptete, eine Wiederherstellung angeblich ausschliessende Baufälligkeit des Hauses glaubte. Heute, nachdem dieses Märchen als solches entlarvt ist, müsste der Architekt, der den Abbruch des Baudenkmals vorschlüge, darauf gefasst sein, von der Mehrheit seiner künstlerisch empfindenden Fachgenossen schlechthin verurtheilt zu werden.

Aber auch die in der Stadtverordneten-Versammlung vertretene gebildete Bevölkerung Leipzig’s dürfte, wie wir hoffen, inbetreff dieser Frage grundsätzlich kaum anders denken. Die Freude an den erhalten gebliebenen Resten früherer Jahrhunderte, den natürlichen Vermittlern zwischen der Gegenwart und der geschichtlichen Vergangenheit einer Nation, ist seit dem Wieder-Erwachen deutschen National-Bewusstseins und Nationalstolzes schon tief ins Volk gedrungen und in Sachsen wahrlich nicht am wenigsten verbreitet. Die oft hervor gehobene Pflicht, dass eine Stadt wie Leipzig, die infolge ihrer lebhaften neueren Entwickelung verhältnissmässig arm ist an Baudenkmälern, welche ihr ein geschichtliches Gepräge verleihen, um so ängstlicher darüber wachen müsse, keines der noch vorhandenen Denkmäler zu verlieren, ist ja an sich einleuchtend genug.

Auch kann angesichts des Licht’schen Wiederherstellungs-Entwurfs, von dem der mitgetheilte Holzschnitt nur eine schwache Vorstellung giebt, gewiss nicht behauptet werden, dass es sich um ein unbedeutendes und künstlerisch werthloses Bauwerk handle, wenn anderswo auch reichere Anlagen bestehen.

Südlicher Theil des alten Rathhauses

Dass trotz alledem nicht wenige Stimmen laut geworden sind, welche gegen den Gedanken eines Wiederherstellungs-Baus des alten Rathhauses sich wahren und dasselbe lieber geopfert sehen möchten, ist wohl lediglich daraus zu erklären, dass man nach den Erfahrungen, die in dieser Beziehung bei einer Leipziger Kirche gemacht worden sind, vor den – angeblich im voraus gar nicht zu schätzenden – Kosten eines solchen Unternehmens sich fürchtet. Aber die Verhältnisse liegen hier doch nicht so, wie bei jener Kirchen-Herstellung, die im Verlaufe des Baues auf eine anfangs gar nicht beabsichtigte, vollständige künstlerische Neugestaltung des Inneren ausgedehnt worden ist, während es hier um ganz bestimmte, im voraus zu übersehende Arbeiten sich handelt. Zudem bliebe es der Gemeinde-Vertretung ja unbenommen, durch Heranziehung einwandsfreier Sachverständiger über die Richtigkeit der bezgl. Kostenanschläge sich Auskunft zu verschaffen und Einrichtungen zu treffen, welche die willkürliche Ueberschreitung derselben unmöglich machen! Dass die Stadt durch Ausführung des vorliegenden Entwurfs in ihrem Rathhausbau eine Anlage erhielte, die an eigenartiger Schönheit Ihresgleichen suchte, steht wohl nicht in Frage, ist aber ein Moment, welches für das kunstsinnige Leipzig gewiss schwer ins Gewicht fällt. Die künstlerischen Sachverständigen, die mit ihrem Lobe des Entwurfs wahrlich nicht karg gewesen sind, haben dennoch nicht zu viel gesagt. Hr. Baudirektor Licht, dem die Stadt bereits eine ansehnliche Reihe echt künstlerisch aufgefasster und durchgeführter Monumental-Bauten edelsten Gepräges verdankt, die ihrem Schöpfer seinen Rang unter den ersten lebenden Architekten Deutschlands angewiesen haben, ist mit diesem neuesten Werk hinter seinen früheren Leistungen nicht zurück geblieben. Namentlich der in einen, mit den umliegenden Strassen zusammen hängenden Hof verwandelte Naschmarkt, der sich zur Aufstellung eines Kunstbrunnens oder eines Denkmals vortrefflich eignete, würde von höchstem Reize sein und es ist schwerlich anzunehmen, dass durch einen vollständigen Neubau jemals ein so bedeutsames und ausdrucksvolles Werk geschaffen werden könnte, wie durch diese in schöner Harmonie zusammen klingende Gruppe hervor ragender Bauwerke verschiedener Zeitalter.

Etwas ungünstiger scheint die Frage inbetreff der Zweckmässigkeit der geplanten Anlage zu stehen.

Es ist an sich gewiss nicht zu bestreiten, dass in einem einheitlichen Neubau eine Raumanordnung sich erzielen lässt, welche eine für die Zwecke des augenblicklichen Bedürfnisses vortheilhaftere, bezw. bequemere Lage der einzelnen Räume zu einander darbieten würde. Da aber dieses Bedürfniss im Lauf der Jahre wesentlichen Veränderungen unterliegt, so ist auf diesen Vorzug wohl kaum ein massgebender Werth zu legen. Unter den Begriff der Zweckmässigkeit fällt vor allem aber auch die Kostenfrage.

Und mit Rücksicht auf diese sollte es wohl kaum zweifelhaft sein, dass ein Entwurf, der im grossen Ganzen nur etwa die Hälfte der für einen vollständigen Neubau erforderlichen Kosten beansprucht, den Zwecken der Gemeinde besser entspricht, als dieser. Die grundsätzliche Zustimmung, die wir damit gegenüber dem Licht’schen Entwurfe ausgesprochen haben, erstreckt sich freilich nicht auf alle Einzelheiten desselben und wir nehmen keinen Anstand, auch die Bedenken, bezw. Abänderungs-Wünsche, die er in uns erregt hat, in gleicher Offenheit darzulegen.

Was zunächst das alte Rathhaus betrifft, so wünschen wir inbetreff seiner äusseren Erscheinung in Erwägung gezogen zu sehen, ob es sich nicht empfehlen sollte, die Wiederherstellung desselben auch auf die Thurmspitze zu erstrecken, welche ihre gegenwärtige Gestalt erst i. J. 1744 erhalten hat und mit ihren schweren Barockformen zu dem Ganzen nicht recht passt, und sie im Sinne des ursprünglichen Baues zu erneuern, Ferner drängt sich die Frage auf, ob anstelle einer Reihe untergeordneter Räume in diesem Hause nicht ein grösserer, mit seiner Decke in den Hohlraum des Dachs reichender Saal sich schaffen liesse, der in Verbindung mit der grossen Diele und der Rathsstube für festliche Zwecke zu dienen hätte. Will man in dem Rathhausbau überhaupt Festräume anlegen, so gehören sie entschieden in das alte Haus, in dem die Gäste der Stadt auf geschichtlichem Boden sich fühlen und dem dadurch eine erhöhte Bedeutung gegeben würde, nicht in das Verwaltungs-Gebäude. Ohnehin dürfte sich der Sitzungssaal der Stadtverordneten, dem am besten wohl eine feste Einrichtung mit ansteigenden Sitzreihen zu geben wäre, zur Benutzung für festliche Zwecke nur wenig eignen.

Würde eine derartige, technisch gewiss unschwer zu ermöglichende Anordnung beliebt, welche freilich noch eine Steigerung der Kosten für die Herstellung des alten Rathhauses zur Folge hätte, so liesse sich dafür das Rangverhältniss zwischen diesem und dem neuen Verwaltungs-Gebäude zugunsten des ersteren etwas verschieben. In dem Licht’schen Entwurfe sind beide, der Bedeutung der in ihnen enthaltenen Räume entsprechend, etwa gleichwerthig behandelt; es ist aber wohl zu befürchten, dass die ansehnlichere Höhe des Neubaues in Verbindung mit der für denselben gewählten Ausführungs-Weise diesem den Vorrang verschaffen und das Baudenkmal des XVI. Jahrhunderts etwas herab drücken würde. Unserem Gefühle entspräche es dagegen mehr, wenn letzteres in der Gesammt-Erscheinung der Baugruppe nach jeder Beziehung an erster Stelle sich geltend machte und die Vertretung des Rathhauses der Stadt Leipzig nach aussen auch ferner ihm anvertraut bliebe. Dies könnte einerseits durch eine noch einfachere Ausstattung der Fassaden erzielt werden, an denen einzig der Mittelbau an der Reichsstrasse einer besonderen künstlerischen Betonung bedürfte, andererseits aber durch die Herabsetzung der Stockwerk-Zahl des Gebäudes um ein volles Geschoss, die angesichts der unausbleiblichen Dezentralisation wohl gleichfalls keinem Bedenken unterliegen möchte. Die Kosten des Neubaues könnten dabei um einen erheblich größeren Betrag herab gemindert ‚werden, als die Anlage eines Festsaals im alten Rathhause erfordern würde. Der architektonische und malerische Reiz der Gesammt-Anlage, der im wesentlichen von der Gruppirung derselben und nur zum kleineren Theile von der reicheren bezw. schlichteren Gestaltung. der Einzelheiten des neuen Verwaltungs-Gebäudes abhängt, würde durch eine solche Aenderung kaum irgend welche Einbusse erfahren.

Wir sind im übrigen weit davon entfernt, den vorstehenden Bemerkungen besondere Wichtigkeit beimessen zu wollen, bitten vielmehr, sie lediglich als Ausdruck einer persönlichen, an sich wohl gleichfalls berechtigten Anschauung, nicht aber als Ausstellungen anzusehen, die den allgemeinen Werth des Licht’schen Entwürfs herab zu setzen bestimmt wären. –

Zum Schlusse können wir nicht umhin, noch eine Frage zu berühren, welche bei den Verhandlungen des Jahres 1883 eine grosse Rolle gespielt hat und auch diesmal wieder heran gezogen worden ist: die Frage, ob nicht für den Entwurf des Leipziger Rathhaus-Baues der Weg einer öffentlichen Preisbewerbung hätte gewählt werden sollen, bezw. noch gewählt werden könnte. Als i. J. 1883 der ältere Licht’sche Entwurf zu einem vollständigen Neubau des Rathhauses vorlag und in der ihn begleitenden Denkschrift auseinander gesetzt wurde, dass eine Aufgabe dieser Art niemals zum Wettbewerb gestellt werden dürfe, haben wir die bezgl. Ausführungen nach Kräften bekämpft.

Wir würden unter gleichen Verhältnissen noch heute, das Gleiche thun. Dass es dagegen unzweckmässig wäre, für einen Herstellungsbau, wie denjenigen des alten Leipziger Rathhauses, bei dem keine schwierigen Probleme zu lösen sind, sondern nur künstlerisches wie technisches Verständniss und künstlerische Gewissenhaftigkeit in Frage kommen, einen Wettbewerb auszuschreiben, leuchtet wohl eben so, ohne weiteres ein, wie die Nothwendigkeit, jenen Herstellungsbau des alten Hauses und den Neubau des Verwaltungs-Gebäudes in einer Hand zu lassen. Dass Hr. Baudirektor Licht der Aufgabe nach jeder Richtung gewachsen ist, hat er durch seine voran gegangenen Ausführungen wohl zurgenüge dargethan.

– Dass thatendurstige Architekten, wie sie Leipzig in reicher Fülle besitzt, diese Sachlage schmerzlich empfinden, ist zu natürlich, als dass man einen Stein auf sie werfen könnte, selbst wenn sie unter diesem Eindrucke in einer dunklen Stunde zu einem Angriff auf den Fortbestand des alten Rathhauses sich hätten hinreissen lassen. Dem wohl nicht mehr fernen Ausgange der Angelegenheit sehen wir mit begreiflicher Spannung, aber mit den besten Erwartungen entgegen. Ideale Rücksichten wie Zweckmässigkeits-Gründe sprechen für den Grundgedanken des vom Rathe vorgelegten Entwurfs und es wäre seltsam, wenn eine Körperschaft, wie die Leipziger Stadtverordneten-Versammlung sich nicht für beide sollte erwärmen können.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit “-F.-“