Architekt: Jürgen Kröger in Berlin. Ueber den Ausfall des um den Bau einer neuen evangel. Kirche für Riesa a. E. ausgeschriebenen Wettbewerbes sind bereits auf S. 139 einige kurze Mittheilungen gegeben worden, die wir heute – nach Einsichtnahme in das Gutachten des Preisgerichts – durch Vorführung des mit dem ersten Preise gekrönten Entwurfes ergänzen wollen.
Aus jenem Gutachten sei zunächst über den Gang der zweitägigen Thätigkeit des Preisgerichts noch angeführt, dass von den eingegangenen 91 Entwürfen bei der ersten Auswahl nicht weniger als 29 Arbeiten als „unzulänglich“ zurückgestellt wurden, Bei einer zweiten und dritten Durchsicht hatten noch 33 bezw. 12 Entwürfe das gleiche Schicksal, so dass schliesslich die auf S. 139 angeführten 17 Arbeiten auf der engeren Wahl blieben, aus der in weiterer, dreimaliger Durchsiebung zuletzt die drei Pläne der Hrn. Kröger, Knothe-Seeck und Füssel siegreich hervorgingen.
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Bei dem mit Stimmeneinheit durch den ersten Preis ausgezeichneten Entwurfe, dessen Plangestaltung zwei stilistisch verschiedene Lösungen des Aufbaues zugrunde gelegt war, haben die Preisrichter sich für die Lösung in romanischen Formen entschieden. Sie rühmen an demselben ebenso die klare und gute, den Erfordernissen eines evangelischen Gotteshauses entsprechende Anordnung des Grundrisses, wie die machtvolle, malerische Erscheinung des Aussenbaues und die würdige, zugleich eine gute Hörsamkeit versprechende Gestaltung des Innern. Die maassvolle Formgebung bietet nach ihrer Ansicht Gewähr dafür, dass die Ausführung des Baues – nöthigenfalls unter Verzicht auf vollständige Herstellung in Sandstein – für die ausgeworfene Summe von 250 000 M. sich wird bewirken lassen. Die 4 dem Preisgericht angehörigen Architekten Geh. Hofrth. Prof. R. Heyn, Brth. Prof. C. Lipsius-Dresden, Brth. A, Rossbach und Stadt-Baudir. H. Licht-Leipzig haben überdies ihrer Ueberzeugung noch dahin Ausdruck gegeben, dass die Ausführung des Entwurfes auch mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse sich empfehle und der Stadt Riesa gewiss zur nicht gewöhnlichen Zierde gereichen werde, Ein Blick auf die mitgetheilten Abbildungen des Krögor’schen Entwurfes lässt erkennen, dass diese Lobsprüche nicht unverdiente sind. Der Entwurf, zu dessen Plangestaltung noch bemerkt sei, dass die Wahl einer zentralen Grundform und das Zahlen-Verhältniss der im Kirchenschiff bezw. auf den Emporen unterzubringenden Sitzplätze (rd. 800 zu rd. 200) im Programm vorgeschrieben waren, zeugt in allen Theilen von der reifen Sicherheit eines im Kirchenbau erfahrenen, seines Zieles bewussten Architekten. Offenbar mit Rücksicht auf die zurzeit in den kirchlichen Kreisen Sachsens noch vorwiegenden Anschauungen hat der Verfasser inbezug auf die Einrichtung des Kirchenraumes von allen jetzt auf der Tagesordnung stehenden Neuerungen oder vielmehr von jeder Wiederanknüpfung an die alten geschichtlichen Ueberlieferungen des evangelischen Kirchenbaues Abstand genommen und sich streng an die für Neubauten noch zu Recht bestehenden Vorschriften des Eisenacher Regulativs gehalten. Es ist jedoch ersichtlich, dass sich in dem gegebenen Rahmen alle jene Neuerungen – eine zentrale Stellung der Kanzel, eine konzentrische Anordnung der unteren Bankreihen, eine Anlage des Orgelchors hinter dem Altar usw. nicht nur leicht anbringen lassen, sondern dass durch dieselben der Entwurf an einheitlicher Vollendung nur gewinnen würde.
Denn jene Anordnungen sind imgrunde nicht das Ergebniss willkürlicher Annahme, sondern eine logische Folgerung aus dem System des Zentralbaues. Man kann sich daher nicht wundern, wenn aus Kreisen, die noch völlig in den romantischen Anschauungen der hinter uns liegenden Zeit befangen sind, bereits in versteckter Weise gegen das Ergebniss des Wettbewerbs gewählt wird, indem man – unter Aufwärmung des bekannten Otte’schen Ausspruchs, dass ein baulicher Gegensatz zwischen der mittelalterlich katholischen und der evangelischen Kirche keine Berechtigung habe – die Vorgänge des Langhausbaues und des gothischen Baustils in das hellste Licht rückt und nebenbei auch einfliessen lässt, dass es die „Berliner Schule“ gewesen sei, welche sich zuerst bemüht habe, „den Zentralbau für evangelische Kirchen als allein richtig und passend hinzustellen.“
Hoffentlich lässt sich die Bevölkerung der in frischer Entwicklung aufstrebenden Stadt Riesa durch derartige Rathschläge nicht irre machen und von der Wahl eines Bausystems abbringen, für dessen Einbürgerung im protestantischen Kirchenbau dereinst niemand mehr gethan hat, als einer der grossen Meister aus Sachsens Glanzzeit, Georg Bähr – mag auch der Architekt, dem diesmal der Preis zugefallen ist, seinen Wohnsitz nicht in Sachsen, sondern – in Berlin haben. Hat doch derselbe Architekt aufgrund seines Sieges in einer früheren Wettbewerbung in Sachsen schon ein anderes kirchliches Bauwerk von hervorragender Bedeutung, die neue St. Moritz-Kirche in Zwickau geschaffen!
Dieser Artikel erschien zuerst 1894 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „-F.-„