Ein neuer Cranach

Nicht von unserm neuen Cranach will ich sprechen, nicht von der „Ruhe auf der Flucht“ aus der Sammlung Sciarra, die vor 30 Jahren schon einmal für einen Tag die unsere war und es jetzt für immer geworden ist, nicht vom alten Cranach, sondern gerade von einem neuen Cranach und doch von „unserm“ Cranach da der Künstler ein Berliner ist.

In der Jubiläumsausstellung des Vereins für deutsches Kunstgewerbe, die am 4. November im alten Akademiegebäude eröffnet wurde, ist gewiß viel Schönes zur Schau gebracht worden; aber was uns am freudigsten überrascht was uns immer wieder zu sich hingezogen hat, ist der kleine Schaukasten mit den Schmucksachen, welche der Maler W. Lucas von Cranach durch den Hofjuwelier Friedlaender hat ausführen lassen. Ich wüßte keine Ausstellung moderner kunstgewerblicher Arbeiten hier, die mir einen solchen Eindruck gemacht hätte seit der Schaustellung der Stickereien von Herrmann Obrist im Kunstgewerbemuseum 1897. Cranachs Arbeiten sind modern, aber nicht modern in dem Sinn, daß sie sich dem „Jugendstil“ einfach anschlössen. Sie erinnern uns vielleicht an diesen und jenen, und doch sind sie ganz eigenartig. Sie sind stilvoll insofern, als der vielfache Zauber dieser Schmucksachen mit größtem Geschick dem Material entlockt ist, und die Formen, die nach der Natur fein beobachtet sind, eine dem Material angemessene Umbildung erfahren haben, aber sie prätendieren keineswegs, im modernen „Stil“ erfunden zu sein oder gar einen ganz persönlichen Stil zum Abdruck zu bringen, den jetzt manche Künstler entdecken zu können glauben. Es sind Versuche, wenn man will, denn der Künstler ist Porträtmaler. Es sind sogar zumeist Kinder seiner Laune, denn sie entstanden auf einem langen, schweren Krankenlager, aus dem Bedürfnis, die trübe Zeit durch Ausgestaltung der bunten Bilder seiner Phantasie sich zu erheitern. Und doch sind sie viel mehr als Versuche, viel mehr als launige Scherze: es sind Meisterwerke der Kleinkunst, jedes in seiner Art, mit tiefstem Verständnis für den Stoff, in dem sie gearbeitet sind, erfunden, von feinster Farbenempfindung und geschmackvollster Gestaltung der naturalistischen Formen, die zu Grunde gelegt sind, dazu meisterhaft in der technischen Ausführung, die dem Haus Friedlaender zur höchsten Ehre gereicht, nicht am wenigsten dem Leiter ihres Ateliers, Max Weichmann.

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Die Arbeiten Cranachs, die zur Ausstellung gebracht sind, bieten Beispiele aus fast allen Teilen des eigentlichen Schmuckgebiets: Broschen, Schnallen, Nadeln verschiedenster Art, Knöpfe, Ringe u.s.f. Sie zeigen Motive, die bald dem Tierreich, bald dem Pflanzenreich oder beiden entlehnt sind, je nachdem sie dem Künstler für die Form des Schmuckstücks und des Materials besonders geeignet erschienen. In der Wahl dieser Motive und in ihrer Anpassung an das einzelne Schmuckstück zeigt sich der feine Geschmack des Künstlers ebenso sehr wie darin, daß er dabei auf alle Stilfloskeln verzichtet, von denen unsere Modernsten den Stil der Zukunfterwarten, während er sich andrerseits von der Nachahmung des Alten ebenso fernhält. Man sieht, es geht auch ohne jene ausgeschwungenen Stillinien, die bald Schiffsrippen, bald Fragezeichen oder Bandwürmern gleichen und doch keineswegs so eigenartig sind, wie man uns glauben machen will; sind sie doch nur eine mehr oder weniger unbewußte Entlehnung aus dem Rokoko!

Vorstecknadel – Motiv Eule
Schirmgriff – Motiv Pelikan
Vorstecknadel – Motiv Schwan

Unsere Bilder geben eine Reihe der besten Arbeiten des Künstlers wieder, so weit sie sich zur Nachbildung in Schwarz und Weiß eigneten; leider geben sie nur die Form; von der Schönheit der Farben, die ihren Hauptreiz ausmachen, können sie keinen Begriff geben.

Halsschliesse – Motiv wilder Wein
Brosche – Motiv Orchidee

Besonders reichhaltig sind die Broschen. Da ist eine als Distel geformt, die Blätter in grünem Email, durch kleine Rubine und Diamanten kräftig gehoben und aufgelichtet. Unscheinbarer, aber in Feinheit der Farbenzusammenstellung und des Tons ein Meisterwerk ist die schleifenartige Tulpenbrosche aus dünnem grauem Bandwerk mit gelben und schwarzen Perlen und kleinen Diamanten. Von energischer Farbenwirkung ist ein phantastischer Polyp, dessen Körper aus einer großen Perle besteht. Ein köstliches Farbenbouquet bietet die kleine Brosche mit einer wunderbar schillernden lilafarbenen Perle, die von grün emaillierten Polypenleibern umgeben ist. Von ähnlichem Farbenreiz, bei zarteren Tönen, ist die offene dreiblättrige Blüte der Fresia mit Blutgranaten in der Mitte und langen farbigen Perlen als Staubfäden. Ein paar größere Broschen sind wieder in ganz eigenartiger Weise als Fruchtbouquets gestaltet; besonders schön ist die durch prächtige lange Perlen als Bananenbouquet charakterisierte Brosche.

W. Lucas von Cranach
Kopfschmuck aus Brillanten – Motiv Clematis

Sehr zierlich sind verschiedene kleine Broschen und Anhänger für Kinder und Backfische als Trauben mit farbigen Perlen auf Blättern, als offene Blütenkelche mit kleinen Brillanten, als Schnecke oder Schwan von farbigen Perlen auf grünen Blättern und in ähnlicher Weise gebildet. Unter mehreren Schnallen, die auch als Broschen auf den modernen Bändern am Hals zu verwenden sind, erscheinen solche mit farbigen kleinen Perlen, in Trauben zusammengruppiert, besonders glücklich. Das prächtigste und in seiner kräftigen Färbung vielleicht das wirkungsvollste Stück ist ein Anhänger, der von einem grünen, mit kleinen Steinen (Olivinen) besäten Weinblatt gebildet wird, an der Kette ähnliche kleine Weinblätter.

Sehr mannigfach in Form und Farbe sind die Nadeln, sowohl die Hut- und Haarnadeln, unter denen eine als Alpenveilchen mit langer Perle und eine blumenartige mit großer Lilaperle und funkelnden Opalen ringsum prächtig in die Augen fallen, wie die Tuchnadeln, die als Schlangen mit Perlenzungen, als Fische, Eule, Schwan u.s.w. gestaltet sind, meist aus phantastisch geformten Perlen gebildet. Ringe und Knöpfe aus Schlangenleibern und mit farbigen Steinen geschmückt, ein Schirmgriff mit einem Pelikan, Schuhanzieher, eine große Bowle aus Münzen, nach Art der alten Münzbecher komponiert (ein Familienstück der Cranachs), eine sehr gelungene Folge von geschliffenen Gläsern auf hohen Schlangenfüßen und ein paar große, in Silber gefaßte Glaspinten, prächtige Stücke für Jacht- und Segelpreise, vervollständigen diese stattliche Reihe mannigfacher Schmuckgegenstände. Doch fast hätte ich das Hauptstück vergessen, den Kranz, der das Haupt der bekannten Mädchenbüste aus dem Museum in Lille schmückt. Er ist aus zierlichen, mit kleinen Diamanten besetzten Ranken gewunden, an denen an den Schläfen je eine offene Blüte der Klematis ansetzt, die wieder ganz mit kleinen Diamanten bedeckt sind und deren lange Staubfäden kleine grüne Steinchen zieren. Im vollen Haar, namentlich im dunklen Haar, muß dieser Kranz, der sich in geschmackvollster Weise dem Kopf anschmiegt und von einem außerordentlich mannigfaltigen und doch fast bescheidenen Lichtglanz ist, von prachtvollem Effekt sein. W. Lucas v. Cranach hat die Wirkung dieser Schmucksachen mit den mannigfachsten Mitteln zu erzielen gewußt. Die Körper der Gegenstände sind regelmäßig aus Gold gebildet; dieses kommt teilweise in seiner Naturfarbe rein zur Erscheinung, in der Regel ist es aber getönt oder gefärbt. Die Tönung ist erzielt durch Färbung des Goldes bei der Legierung, die meist noch verstärkt ist durch stellenweisen Farbenauftrag vermittelst des galvanischen Stroms. In dieser Weise ist auch die eigentliche Färbung des Goldes hergestellt, die von der Emaillierung oft kaum zu unterscheiden ist, weil letztere zuweilen so zart und leicht ist, daß sie nur wie eine leichte Tönung erscheint.

Anhänger – Motiv Tulpenblätter
Pinte für eine Jacht
Anhänger – Motiv Tintenfisch

Zuweilen ist aber der Emailauftrag wesentlich stärker oder die Färbung des Emails eine kräftige; ausnahmsweise ist auch translucides Email angebracht, wie bei der Distelbrosche. Mit diesem farbigen Gold und Email sind Steine der verschiedensten Art und Farbe und Perlen von origineller Form und mannigfacher Färbung in Verbindung gebracht, regelmäßig mit großem Geschick zur Hebung und Betonung der Formen und zur Accentuierung der Farbenwirkung. Gerade in dieser Verwendung der Edelsteine und in dem feinen Zusammenstimmen von Gold, Email und Gestein zeigt sich die künstlerische Kraft und der koloristische Sinn des Herrn von Cranach in vorteilhaftester Weise.

Ziergläser

Verschiedene Arbeiten, die uns als die neusten bezeichnet werden: so der Anhänger mit Kette aus Weinlaub, der Diamantenkranz, die Tulpenbrosche mit den farbigen Perlen u.a.m. beweisen, daß der Künstler sich mit den Eigenschaften und Anforderungen der verschiedenen Stoffe immer mehr vertraut macht, und daß wir daher noch ganz neue, eigenartige und bedeutendere Arbeiten dieser Art von ihm erwarten dürfen. In seinen letzten Arbeiten hat er eine gewisse Mattigkeit der Färbung oder richtiger der Tönung, die sich in einzelnen früheren Stücken – vielleicht nur infolge einer Konzession an leidige Mode – findet, völlig überwunden; sein Email ist darin stärker aufgetragen und kräftiger gefärbt, die glücklichen Versuche in durchsichtigem Email geh dieser jüngsten Zeit an. Hoffentlich wird dem Künstler Gelegenheit geboten werden, auf dem gleichen Wege energisch weiterzuschreiten und vor allem auch größere farbige Steine zu verwenden und diese in reinem Metall zu fassen und mit kräftig gefärbtem Email zu verbinden. Der Goldschmiedekunst in Berlin ist durch diese Arbeiten W. Lucas von Cranach eine neue, vielversprechende Bahn gewiesen. Sicherlich wird das Publikum Vorurteile der Mode überwinden; es wird sich der einschmeichelnden Schönheit dieser eigenartige Schmuckstücke leicht überzeugen und sich zu ihnen bekehren.

Dieser Artikel von Wilhelm Bode erschien zuerst in Die Woche 48/1902.