Das neue Königliche Theater in Wiesbaden

Architekten: Fellner & Helmer in Wien. Unter den in jüngster Zeit entstandenen Theaterbauten verdient das neue königliche Theater in Wiesbaden die Beachtung der Fachkreise. Nicht als ein epochemachendes Ereigniss in der Geschichte des Theaterbauwesens, wohl aber als eine schätzenswerthe, das traditionelle Theater in einer höchst vollendeten Form verkörpernde Leistung.

Das alte Theater, 1825-27 mach dem Muster des Aachener Stadttheaters mit einem Kostenaufwande von 160 000 Gulden erbaut und am 26. Juni 1827 mit der Aufführung der Oper „Die Vestalin“ eröffnet, vermochte, obwohl es im Laufe der Jahre mehrfach in seiner Inneneinrichtung umgeändert worden war, mit seinen 930 Sitzplätzen dem Theaterbedürfniss der inzwischen auf 70 000 Köpfe angewachsenen Einwohnerzahl der Stadt nicht mehr zu genügen. Schon in den fünfziger Jahren wurde ein Neubau als nothwendig empfunden und der damalige herzogl. nass. Landbaumeister, spätere Ob.-Brth. Hoffmann, der Erbauer der griechischen Kapelle auf dem Neroberge und der katholischen Kirche, mit der Ausarbeitung eines Entwurfes beauftragt. In letzterem war das Theater als Anbau an die südliche sogen. „neue“ Kolonnade am Kurhausplatze in den Formen der Renaissance gedacht, in beiden Beziehungen übereinstimmend mit dem jetzt zur Ausführung gelangten Entwurfe. Die Ausführung dieses Entwurfes unterblieb aber, wohl hauptsächlich, weil andere Bauausführungen das Budget des Staates stark in Anspruch nahmen. Doch wurde auf Veranlassung der Regierung mit der Ansammlung eines Theater-Baufonds begonnen, zu welchem s. Z. die Spielbankpächter des Kurhauses hohe Jahresbeiträge zu leisten hatten. Dieser hatte beim Beginn der Ausführung des jetzigen Theaters – welche etwa 2 Mill. M. erforderte – den ansehnlichen Betrag von 800 000 M. erreicht. Der allgemeine wirthschaftliche Aufschwung nach dem siegreichen Kriege mit Frankreich, die stetig wachsende Einwohnerzahl Wiesbadens und die mittlerweile in vielen deutschen Städten – insbesondere auch in den Nachbarstädten Darmstadt und Frankfurt – entstandenen neuen Theaterbauten drängten mehr und mehr dazu, dem schon lange gehegten Plane jetzt auch in Wiesbaden wieder näher zu treten, umsomehr, als sich nun auch angesichts der bei dem Brande des Wiener Ringtheaters gemachten Erfahrungen die schwerwiegendsten Bedenken hinsichtlich der Feuersicherheit des Theaters und seiner veralteten Betriebseinrichtungen ergeben mussten, welche durch die Anbringung eines eisernen Vorhangs, Beseitigung der die Logenthüren verbarrikadirenden Klappsitze und einige sonstige bauliche Veränderungen in den Augen des Kenners nicht behoben werden konnten. Bevor jedoch an die Ausarbeitung eines neuen Entwurfes gedacht werden durfte – der Hoffmann’sche Plan entsprach den gesteigerten Anforderungen der gegenwärtigen Zeit nicht mehr – war vor allem die Platzfrage einer nochmaligen Prüfung zu unterziehen.

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Nicht ganz mit Unrecht war von einem grossen Theile der Bevölkerung die Absicht, das Theater in den Anlagen des „warmen Dammes“ im Anschluss an die südliche Kolonnade zu errichten, mit Bedenken aufgenommen worden. Es wurde darauf hingewiesen, dass es der Bedeutung eines Theaters nicht würdig sei, an ein älteres Bauwerk angegliedert zu werden, dass für den Bau selbst und die erforderlichen Zufahrtswege ein grosser Theil der schönen Parkanlagen geopfert werden müsse, ja, dass es zur Gewinnung eines günstigen Standpunktes für die Besichtigung des Bauwerkes nöthig sein werde, einen Theil der prachtvollen Platanen-Allee in der Wilhelmsstrasse zu beseitigen. Der Plan entstamme einer Zeit, in welcher der Ackerbürger auf dem „warmen Damme“ noch seine Kartoffeln baute. Was damals wohl eine Verschönerung gewesen sei, bedeute jetzt (im Jahre 1880) einen unersetzlichen Verlust. In einer Kurstadt müsse ein Theater-Neubau Veranlassung werden, neue Anlagen zu schaffen, nicht aber vorhandene 50jährige Baumgruppen und Anpflanzungen zu vernichten

Auch allgemeine ästhetische Bedenken wurden aus Künstlerkreisen laut: das Kurhaus mit seinen beiden Kolonnaden mache jetzt auf jeden Beschauer den Eindruck einer Schöpfung von grossartiger Einfachheit und Würde und könne nicht ohne Einbusse seiner Gesammtwirkung mit einem mächtigen anspruchsvollen Theaterbau in Konkurrenz gesetzt werden. Die Anlage sei schon als werthvolle kunsthistorische Reliquie und gewissermaassen als das Wahrzeichen der Badestadt interessant und bedeutungsvoll genug, um jede Beeinträchtigung ihres eigenartigen Charakters durch die Anfügung des Theaterbaues bedauerlich erscheinen zu lassen. –

Mit Rücksicht auf die mannichfachen Kundgebungen dieser Art, welche aus allen Kreisen der Bevölkerung laut wurden, fand sich die Stadtvertretung veranlasst, anderweitige Vorschläge für die Wahl eines geeigneten Bauplatzes in Erwägung zu nehmen und es wurde nunmehr bei Gelegenheit der Aufstellung des Entwurfes für den Rathhaus-Neubau ein Theil des für diesen seitens der Stadt erworbenen Geländes als Bauplatz für das Theater zurückbehalten. Die Lageverhältnisse, welche sich hiernach ergeben haben würden, sind aus dem im Jahrg. 1885 d. Bl. S. 213 enthaltenen Lageplan ersichtlich. Wie aus diesem hervorgeht, war für das Theater ein zwischen zwei Strassen von je 18 m Breite belegenes Baugelände von nur etwa 2500 qm vorgesehen, während das nunmehr zur Ausführung gelangte Bauwerk eine Fläche von etwa 4500 qm bedeckt.

Das neue Königliche Theater in Wiesbaden

Abgesehen davon, dass es nicht möglich gewesen wäre, auf dieser beschränkten Grundfläche ein den Anforderungen des Betriebes und der Feuersicherheit genügendes Theater herzustellen, mussten sich gegen das nahe Aneinanderrücken dreier umfangreicher Monumentalbauten von vornherein gerechtfertigte Bedenken erheben. Das Theater selbst würde an dieser Stelle, obwohl im Mittelpunkte der Stadt und in der Nähe des Kurhauses und der Bahnhöfe gelegen, niemals dem Stadtbilde zur Zierde gereicht haben.

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass dieser Plan weder von seinen Gegnern, noch von seinen Fürsprechern wirklich ernst genommen wurde, zumal das fragliche Gelände eine vielfache anderweite und zweckmässigere Verwendung gestattete. Gleichwohl ist dasselbe für die Lage und Plangestaltung des neuen Rathhausbaues insofern maassgebend geworden, als letzterer zugunsten des Theaterbauplatzes eine fünfeckige Grundrissform erhielt und mit seiner Hauptfront so weit vor die Bauflucht der daneben gelegenen vom Oberbaurath Boos 1853-1862 erbauten Marktkirche vorgeschoben wurde, dass zwischen ihm und der Fahrstrasse vor dem gegenüberliegenden königl. Schlosse nur ein verhältnissmässig kleiner, für die Aufstellung und Entwicklung von Festzügen usw. ganz ungenügender Platz verblieb.

Von den sonst für das Theater vorgeschlagenen Bauplätzen kam im wesentlichen nur noch das Gelände, auf welchem die Artillerie-Kaserne steht, infrage. Dieses, ein von vier Strassenzügen begrenztes Rechteck von 120 und 90 m Seitenlänge, mit einer kurzen Seite an der schönen, 40 m breiten Rheinstrasse unweit der Bahnhöfe belegen, würde allerdings dem Theater-Gebäude eine in jeder Hinsicht bevorzugte Lage geboten haben. Es muss bezweifelt werden, ob zur Erwerbung dieses Platzes jemals ernstliche Schritte unternommen worden sind, wiewohl in eingeweihten Kreisen damals die Ansicht bestand und auch heute noch besteht, dass die Erlangung dieses vortheilhaften Platzes nicht unmöglich gewesen, wenn in geeignetem Zeitpunkte das rechte Wort gesprochen worden wäre.

Neben den Schwierigkeiten, welche dem städtischen Theaterplane die Platzfrage bereitete, droht selben ein weiteres Verhängniss durch die beabsichtigte Entziehung der königlichen Subvention, den Fortbestand des Theaters überhaupt infrage zu stellen drohte. Glücklicherweise aber gelang es den Bemühungen der Stadtverwaltung, diese Gefahr durch geeignete Schritte zu beseitigen und die weitere Zuwendung des bisherigen Zuschusses aus der königl. Schatulle zu sichern. Gleichzeitig wurde bekannt dass die Entscheidung der Platzfrage zugunsten des „warmen Dammes“ erfolgt sei. Diese Wendung der Angelegenheit war vorauszusehen in Anbetracht des Umstandes, dass in Wiesbaden von jeher die von einer starken Partei unterstützte Tendenz vorherrscht, alle gewinnverheissenden Faktoren des öffentlichen Lebens mit dem Kurinteresse in Verbindung zu bringen und solche möglichst innerhalb des sogenannten Kurviertels zu vereinigen.

Das neue Königliche Theater in Wiesbaden – Längsschnitt

Im Jahre 1890 nun wurde Hr. Prof. Frentzen in Aachen mit der Ausarbeitung eines Entwurfes für das Theater nach dem von der städtischen Bauverwaltung, der Theater-Baukommission und der Theaterverwaltung aufgestellten allgemeinen Programm betraut. Aufgrund der hierdurch gewonnenen Gesichtspunkte wurden im April 1891 ausser dem genannten Architekten die Hrn. Fellner & Helmer in Wien und Semper & Krutisch in Hamburg in engerem Wettbewerb zur Anfertigung des eigentlichen Entwurfes aufgefordert. Diese Entwürfe wurden der kgl. Akademie für Bauwesen in Berlin zur Beurtheilung unterbreitet.

Inzwischen hatte sich die öffentliche Meinung des Wiesbadener Publikums schon mit grosser Lebhaftigkeit für den Entwurf von Fellner & Helmer entschieden. Als dann im August 1892 den Hrn. Fellner & Helmer in Wien die Ausführung des Theaterbaues seitens der städtischen Behörden übertragen wurde, geschah das mit Rücksicht sowohl auf die öffentliche Stimmung als auch auf den Umstand, dass die Firma infolge ihrer, reichen Erfahrungen auf dem Gebiete des Theaterbauwesens der gestellten Aufgabe in jeder Beziehung gewachsen sein werde und der Stadt eine sichere Gewähr für das Gelingen des Werkes zu bieten vermöge. Der mit der Firma am 5. August 1892 abgeschlossene Vertrag verpflichtete dieselbe zur vollständigen Fertigstellung des Theaters im betriebsfähigen Zustande zu dem veranschlagten Betrage von 1 590 000 Mk. In dieser Summe waren inbegriffen alle Kosten des Gebäudes vom untersten Fundamentabsatz an aufwärts, einschliesslich der um das Theater laufenden Terrassen, Treppen und sonstigen Vorsprünge, der Unterfahrt, der Auffahrten, der Vorlagestufen und Pflasterungen zwischen den Auffahrtswegen, überhaupt alle Kosten der für den Bau erforderlichen Arbeiten und Lieferungen; nicht inbegriffen waren die Kosten des figürlichen Schmuckes, der Bühneneinrichtung sowie der Möblirung des Bühnenraumes. Die Firma haftete für alle Arbeiten des Baues in materieller wie künstlerischer Hinsicht, wie auch für die vollständige Betriebsfähigkeit des Theaters. Für die Leitung des Baues wurde ein Gesammthonorar von 79 500 Mk. festgesetzt. Die besondere Bauleitung wurde dem Hrn. Arch. Roth übertragen. Als Termin für die Fertigstellung war der Herbst des Jahres 1894 ausbedungen worden.

Im November 1892 fielen die den Platz schmückenden Bäume, Mitte Dezember wurde mit den Erdarbeiten begonnen und am 22. Febr. 1893 der erste Stein gesetzt. Von nun an wurde der Bau mit bemerkenswerther Umsicht und Emsigkeit gefördert, und in den letzten Monaten auch Abends auf der künstlich beleuchteten Baustelle mit aller Anstrengung gearbeitet, so dass schon am 16. Oktober 1894 die Eröffnung des Theaters erfolgen konnte.

Wenn der von den Bahnhöfen kommende Besucher die ziemlich genau in der Nordrichtung streichende, einerseits mit einer schönen Platanenallee bestandene Wilhelmstrasse bis zu dem 1812 von Brth. Zais erbauten Museums-Gebäude passirt hat und hier rechts in die Parkanlagen einbiegt, so gelangt er an dem herrlichen Marmorstandbilde des Kaisers Wilhelms des I. vorüber alsbald vor die dem Park zugekehrte Südseite des Hauses und weiter, an der Ostseite desselben entlang um den diese letztere überflügelnden Theil der „neuen Kolonnade“ herum schreitend, auf den Platz vor dem Kurhause. Diesem den Rücken zugewendet, überschaut er das sich vor ihm ausbreitende, im reichsten Schmucke gärtnerischer Kunst prangende, zu beiden Seiten von einer mächtigen Platanenreihe fankirte Blumenparterre mit seinen sprudelnden Fontänen, und weiter jenseits der Wilhelmstrasse das Schillerdenkmal, rechts davon das alte Theater, linke das 1817 erbaute Hotel „Vier Jahreszeiten“, im Hintergrunde die malerisch darüber aufragenden Gebäude der höher liegenden Stadttheile.

Die äussere Ansicht des Theater-Gebäudes zeigt das diesem Aufsatze voranstehende Kopfbild. Eine eigentliche Vorderfront besitzt das Gebäude nicht, da dieselbe durch die Kolonnade, an welche es angebaut ist, fast vollständig verdeckt wird. Deshalb ist die den Parkanlagen des warmen Dammes zugewendete Hinterfront als dessen eigentliche Schauseite betont worden. Dieselbe bildet mit dem säulengetragenen Vorbau, der elegant geschwungenen Doppelrampe und dem überreichen bildnerischen Schmuck einen um so reizvolleren Anblick, als sie, nach Süden zu liegend, im Sonnenschein zu jeder Tageszeit ein verändertes plastisches Bild darbietet, dessen Anmuth noch gehoben wird durch die umgebenden schönen Baumgruppen und Rasenplätze.

Das neue Königliche Theater in Wiesbaden – Grundriss

Die nur als Zufahrt für die Hinterbühne dienende Doppelrampe wird beiderseits von reich ornamentirten Bogenlampenträgern und zwei 10 m hohen obeliskartigen Pylonen flankirt, von denen unsere Abbildung nur die linksseitigen zeigt. Vier weibliche Figuren in den Wandnischen des unteren Geschosses von Bausch in Stuttgart verkörpern Tanz, Musik, Gesang und Drama. Die anziehende, lebhaft bewegte Gruppe des Giebelfeldes ist von Prof. Volz in Karlsruhe erfunden und ausgeführt worden. Eine sitzende Figur in der Mitte versinnbildlicht de dramatische Dichtkunst. In den Figuren zu ihrer Rechten: Parze, sterbender Held und trauernde Jungfrau, wird das tragische, in denen zu ihrer Linken: Liebespaar, Fun, Jokus und Amor das heitere Element derselben symbolisirt. Den Giebel des Portikus krönt ein fackelschwingender Genius von Prof. Vogl in Stuttgart. Zwei von demselben Künstler herrührende plastische Gruppen, Musik und Komödie, sind auf in Ecken des den Portikus überragenden Bühnenhauses aufgestellt. Während so die Hinterfront durch ihren reichen Figurenschmuck symbolisch und repräsentativ auf die Bestimmung des Bauwerkes hinweist, wird letztere in den beiden Seitenfassaden noch durch die Verschiedenheit und architektonische Gliederung der einzelnen Theile besonders erkennbar.

Am höchsten ragt das Bühnenhaus mit seinem mächtigen Kuppeldach aus dem von Terrassen in verschiedenen Höhenlagen umschlossenen Ganzen hervor, indem es zugleich oberhalb der beiderseits anschliessenden Nebenräume um die Tiefe derselben hinter die Bauflucht zurückweicht. Diese Nebenräume, die Hinterbühne, Zuschauerhaus und Treppenhaus mit Vestibül sind als gleichwerthige Theile mit einem gemeinschaftlichen, von einer hohen Balustrade gekrönten Haupteesims umzogen.

Das Bühnenhaus ist durch 2 Risalıte mit einem von 2 freistehenden Säulen getragenen Gebälk besonders markirt, über dessen Verkröpfungen sich 8 überlebensgrosse Figuren erheben und zwar an der westlichen Front: Tannhäuser und Götz von Berlichingen (von Stichling in Berlin) einerseits, und Tragödie und Schauspiel (von Dürnbauer in Wien) andererseits; an der östlichen Front: Hass und Liebe (von v. Glümer in Berlin) einerseits, und Frohsinn und Volkslied (von Krüger in Frankfurt a. M.) andererseits. Vier Pantherwagen aus Zinkguss auf stufenartigem Unterbau (von Prof. Eberlein in Berlin) bekrönen die Risalite. Ein eigenartiger malerischer Reiz wird den Seitenfronten durch die Terrassen verliehen, welche gleichzeitig dem Theaterpublikum als Aufenthalt an schönen Sommerabenden und im Falle einer Gefahr als Zufluchtsort dienen sollen. Der letztere Zweck wird jedoch erst dann im vollen Umfange erreicht werden, wenn auch den bei einem Brande oder einer Panik am meisten gefährdeten Besuchern der oberen Ränge ermöglicht worden ist, sich unmittelbar auf die Terrassen retten zu können, was bis jetzt noch nicht der Fall ist.

Die Betrachtung des Gebäudes lässt es als bedauerlich empfinden, dass dessen reizvolles Gesammtbild ein vollendetes sein könnte, wenn es sich auch an der nördlichen Seite von dem Hintergrunde der umgebenden Parklandschaft abheben würde, während sich jetzt die Seitenfronten des Gebäudes an der öden Hinterfront des alten Kolonnadenbaues todt laufen. Die gänzlich unvermittelte, weil unvermittelbare Verbindung mit letzterem wird dem Beschauer den Genuss des schönen Architekturbildes verkümmern.

Eine Vorderfassade besitzt das Theater, wie schon erwähnt, also nicht. Um auf dessen Vorhandensein hinter der Kolonnade hinzudeuten und den Eingang zum Hause zu markiren, ist in der Mitte der Säulenreihe ein dieselbe hoch überragender, zugleich als bedeckte Vorfahrt dienender Portikus eingebaut.

Der monumentalen Bedeutung und dem Reichthum der architektonischen Ausgestaltung des äusseren Gebäudes entspricht die Gediegenheit des verwendeten Materials. Die Steinmetzarbeiten der Fassaden, welche durchweg aus Heilbronner Sandstein von graugelblichem Ton hergestellt sind und etwa 2500 cbm Material erforderten, sind von der Firma C. Winterfelt in Miltenberg a. M. ausgeführt. Der Sockel und die Stufen der Terrassen- und Freitreppen bestehen aus Granit (Melibokus-Granit vom Felsenmeer) aus den Brüchen der Firma C. Wendt in Zwingenberg a. d. Bergstrasse. Für den gesammten Figurenschmuck ist Savonniere-Kalkstein verwendet. Die aus Zinkguss hergestellten Figuren und Gruppen, die dekorativen Metalltheile des Kuppeldaches, welches in der Hauptfläche mit Kauber Schiefer eingedeckt ist, wurden nach der Anbringung an Ort und Stelle verkupfert. Die Baluster und Friesfüllungen sind aus gebranntem Thon in der Färbung des Sandsteins der übrigen Architekturtheile hergestellt. –

Wenn der Theater-Besucher entweder durch den zuletzt erwähnten Portikus oder unmittelbar von der Kolonnade aus das Kassenvestibül betreten hat, gelangt er zunächst in das Hauptvestibül, in einen in den heiteren Formen des Rococo gehaltenen Raum von 16 und 9 m Grösse, welcher bei Tage durch ein fast die ganze, von schön modellirten Hermen getragene Decke einnehmendes Oberlicht erhellt wird und am Abend in reicher elektrischer Beleuchtung erstrahlt. Auch dem Unkundigen genügt nun Dank der übersichtlichen Anordnung der Aufgänge ein Blick, um ihn sofort den Weg zur Erreichung seines Platzes finden zu lassen.

In der Mittelaxe des Bauwerkes liegt der Eingang zum Parterre und Parkett; rechts und links davon in den gebrochenen Ecken des Vestibüls führen in diagonaler Richtung angelegte, teppichbedeckte Treppen aus polirtem Marmor zu dem I. Range. Durch weite Flügelthüren in den kurzen Wandseiten gelangt man zu den nebeneinander liegenden Treppenläufen für den II. und III. Rang bezw. zu dem hinter dem letzteren angeordneten Amphitheater.

Die Entleerung des Zuschauerraumes erfolgt unter gewöhnlichen Verhältnissen auf demselben Wege, doch können, wie bereits bemerkt, die Besucher des Parterres und des I. Ranges ihren Ausgang auch über die Terrassen nehmen. Letztere Möglichkeit, sowie die ausreichend bemessene Breite der Treppen und Korridore leisten hinreichende Gewähr für die Sicherheit der Besucher dieser Plätze im Falle einer Gefahr.

Die Umgänge, sowie die daneben liegenden Buffets sind je nach den Rängen, denen sie angehören, mit mehr oder minder reichem Stuckornament verziert, in lichten gelblichen Tönen gemalt und mit Wandspiegeln versehen. Da das Theater kein eigentliches Foyer besitzt, so sind die Wandelgänge bestimmt, ein solches zu ersetzen.

Der Zuschauerraum enthält einschliesslich des Orchesterpodiums etwa 400 qm Flächenraum. Von den drei nach oben um etwa 1,75 m gegen einander zurücktretenden Rängen ragt der I. Rang mit der die Mittelaxe betonenden Hofloge am weitesten, fast 7 m in den Zuschauerraum hinein. Hierdurch wird allerdings einem Theil der Besucher des darunter liegenden Parterres der Anblick des inneren Raumes, insbesondere der schönen Decke entzogen, ein Misstand, der sich auch bei anderen Theatern findet und nur mit der Beseitigung der Ränge überhaupt zu umgehen wäre. Die Hauptzierde des Zuschauerraums ist das reich ausgebildete Proscenium mit seinen bevorzugten Logen, dessen Architektur gewissermassen den Konzentrationspunkt der reizvollen stylistischen Erfindung der gesammten Innendekoration bildet. Die für den Kaiser bestimmten beiden Prosceniumslogen befinden sich im Parkett und im I. Rang auf der linken Seite des Auditoriums. Ueber der Kaiserloge ist das von Genien getragene Wappen der Hohenzollern über der gegenüberliegenden Intendantenloge das Wappen der Stadt Wiesbaden angebracht. An die kaiserl. Rangloge schliesst sich ein Empfangssalon. Der Zugang zu den Kaiserräumen erfolgt über eine besondere prachtvolle Marmortreppe. Die Ausstattung dieser Räume ist ihrer bevorzugten Bestimmung entsprechend reich und vornehm. Die Wände und die vergoldeten Sessel sind mit rothem Seidenstoff überzogen. Reiches Stuckornament und glänzende Vergoldung zieren die Decken, kunstvolle Schnitzereien die eichenen Flügelthüren. Ueber den Logen entfalten sich rothe, von Kronen gehaltene Baldachine.

Für die Anfahrt der Wagen des Kaisers ist ein das Gebäude unterhalb des Zuschauerhauses durchsetzender Tunnel bestimmt, von welchem die vorerwähnte Kaisertreppe ausgeht. Am Fusse der letzteren schliesst sich dem Tunnel ein Vorzimmer als Wartezimmer für die Dienerschaft an. Die grosse Mittelloge des ersten Ranges dient als Festloge für den Kaiserlichen Hof bei besonderen Veranlassungen.

Das neue Königliche Theater in Wiesbaden

Ueber dem Zuschauerraume wölbt sich, von einer schöngeschwungenen, durch Stichkappen unterbrochenen Voute getragen, die mit Malerei und plastischem Ornament geschmückte Decke. Das Amphitheater, welches hier streng genommen diesen Namen mit Unrecht führt, weil es sich nur an der Rückseite des Zuschauerraumes befindet, steigt hinter den Sitzen des 3. Ranges als eine bauliche Erweiterung desselben über dessen Umgang empor. Es besitzt eine besondere, den Sitzreihen entsprechend ansteigende Decke, welche sich noch frei und luftig über den hintersten und höchsten fast 13 m über dem Parterre liegenden Sitzen ausbreitet; eine nachahmenswerthe Einrichtung, durch welche auch den Besuchern dieser in anderen Theatern meist recht stiefmütterlich bedachten Plätze ein behaglicher Aufenthalt gewährt wird.

Das zumtheil plastisch aus der Deckenfläche heraustretende, Plafondgemälde zeigt auf der einen Seite die Personifikation der Stadt Wiesbaden als ideale Frauengestalt; die von Rosen umrankte Mauerkrone auf dem Haupte, in der-Hand einen Lilienstengel tragend, thront sie auf einem Brunnenaufbau, dem Symhol der Thermalquelle, deren Nymphe den heilsamen Trank kredenzt. Auf der anderen Seite ruht, zur Wiesbadenia hinübergrüssend, der Vater Rhein. Eine weibliche Gestalt daneben mit Schleier, Buch und Epheukranz deutet auf die sagenumsponnene Geschichte des deutschen Stromes. Zwei Genien, der eine mit Hifthorn, Pfeil und Bogen und einem Waldblumenstrauss in der Hand, der andere mit römischem Feldzeichen und deutscher Kaiserkrone symbolisiren die wald- und wildreiche Umgebung und die historische Vergangenheit der Stadt. In den Wolken schweben die Idealgestalten der schönen Künste: Musik, Schauspielkunst, Tanz, Malerei und Baukunst.

Der Zuschauerraum enthält 1362 Plätze; hierzu kommen noch etwa 30 für die Schauspieler bestimmte Klappsitze im Parterre, so dass das Fassungsvermögen rd. 1400 Plätze beträgt. Stehplätze sind nicht vorgesehen. Auf das Parkett bezw. Parterre einschliessl. der Prosceniumslogen und Orchestersitze kommen 543, auf den I. Rang einschl. der 19 Sitze enthaltenden Fremdenloge (grosse Hofloge) 219, auf den II. Rang 260, auf den III. Rang 224 und auf das sogen. Amphitheater 116 Sitze.

Die Beleuchtung des Zuschauerraumes, welche nur an besonderen Theaterabenden in ihrer ganzen Fülle entfaltet wird, ist eine glänzende. Ihren Hauptbestandtheil bildet der von der Akt.-Ges. Gasapparat- und Gusswerk Mainz gelieferte grosse Kronleuchter, eine Musterleistung des deutschen Kunstgewerbes. Der Kronleuchter ist in weisser echter Bronze im reichsten Barockstil hergestellt und mit 121 Glühlampen besetzt. Er hat ein Gewicht von 22 Zentnern, einen Durchmesser von 3,6 und eine Höhe von 6,5 m. Der untere grosse Korb besteht aus fassettirten Kristallgläsern, welche in Bronze gefasst sind. Aus diesem Korbe wachsen nach allen Richtungen in Blumenform gehaltene Glasglocken der Lampen heraus, während über demselben geflügelte Figuren kugelförmige Glocken tragen. Eine verschwenderische Fülle anderer Beleuchtungskörper ist in den Rängen angebracht; auch die schön profilirte Umrahmung der Bühnenöffnung ist mit einem Kranze von Glühlampen besetzt. Die Glocken der Lampen bestehen überall aus opalisirendem Glase.

Eine Besonderheit des neuen Theaters ist das Orchester, dessen für etwa 80 Musiker bemessenes Podium mittels hydraulischer Vorrichtungen um 3 m gehoben bezw. gesenkt werden kann. In seiner höchsten Stellung befindet es sich in der Höhenlage des Parkettfussbodens und kann alsdann bei besonderen Anlässen zur Vergrösserung desselben dienen. Das bewegliche Orchester soll ein Mittel darbieten, die Klangwirkung der Musik dem Charakter der verschiedenen Opern anzupassen, bezw. den Schall vermindern oder verstärken. Darüber, inwieweit die beabsichtigten akustischen Wirkungen durch diese Einrichtung wirklich erreicht worden sind, sind die Meinungen zurzeit noch sehr getheilt und es haben anscheinend auch die bisher angestellten Versuche ein abschliessendes Urtheil noch nicht herbei geführt. So weit man den in dieser Beziehung laut gewordenen Ansichten entnehmen kann, soll sich sogar in manchen Fällen durch die Tiefstellung des Orchesters eine der beabsichtigten Wirkung ganz entgegen gesetzte ergeben haben.

Es darf wohl darauf hingewiesen werden, dass das verdeckte bezw. versenkte Orchester, eine Eigenthümlichkeit des Wagner-Theaters, wohl bei diesem zweckentsprechend ist, weil letztes, dem griechischen Theater nachgebildet, nur aus einem Parterre besteht, dass aber diese Einrichtung nicht ohne weiteres auf ein mit mehren Rängen versehenes Zuschauerhaus, dessen akustische Verhältnisse wesentlich anders liegen, angewendet werden kann, weil in diesem das Versenken des Orchesters für das Parterre eine Dämpfung, für die oberen Räume aber nothwendig eine Verstärkung des Schalles zur Folge haben. Muss, eine einheitliche ‚Wirkung für alle Plätze also wohl kaum zu erwarten sein wird. Die Akustik des Hauses kann abgesehen von den vorstehenden Erwägungen im allgemeinen als eine recht günstige bezeichnet werden. Infolge der Grösse und Höhe der Bühne sind besonders die Chöre der Opern von imposanter Klangfülle, während Solostimmen in ihren feineren Schattirungen nicht auf allen Plätzen gut gehört werden. Um eine zu starke Schallentwicklung zu verhindern, werden bei Symphonie-Konzerten und Konversations-Stücken besondere Vorkehrungen getroffen, welche sich nach allgemeinem Urtheil gut bewähren.

Hinter dem etwa 4,5 m breiten Proscenium öffnet sich das vom Zuschauerraum durch einen Wellblechvorhang feuersicher abgeschlossene Bühnenhaus. Die mit einem flachen Bogen überspannte Prosceniums-Oeffnung hat eine Breite von 11 m.

Sämmtliche Zugänge zur Bühne sind mit eisernen Thüren versehen. Die Bühne ist 25 m breit und 20 m tief, einschliesslich der 19 m breiten Hinterbühne besitzt sie eine Gesammttiefe von nahezu 30 m, sie ist mithin zu den grösseren Bühnen Deutschlands zu zählen. Ihre Höhe vom Bühnenpodium bis zur Kuppelplattform beträgt 33 m. Die für die Lüftungs-, Heizungs- und Beleuchtungs-Anlagen, sowie für den sonstigen Theaterbetrieb erforderlichen Räume sind theils unter dem Zuschauerraum, in der Hauptsache aber zu beiden Seiten des Bühnenhauses angeordnet. Das Untergeschoss enthält neben der in das darüberliegende Tiefparterre hineinreichenden Unterbühne Arbeits- und Aufbewahrungsräume aller Art, an welche zu beiden Seiten die Terrassen anschliessen. Unter der östlichen (linksseitigen) Terrasse befinden sich die Dampfkessel und die Maschinen für die elektrische Beleuchtung, ein hieran anschliessender Raum am Zuschauerhause enthält die Akkumulatoren- Anlage. Von den Nebenräumen östlich der Bühne sind fünf als Aufenthalt für Theatermeister, Maschinenmeister, Beleuchter und sonstige Theaterarbeiter vorgesehen; einer davon dient als Materialienkammer. Auf der entgegengesetzten Seite sind das Bühnen-Vestibül, die Büreaus der Kassenbeamten, die Bibliothek usw. angeordnet.

Das Hochparterre, in Höhe der Bühne, enthält links derselben die Garderoben der Soloherren, rechts diejenige der Solodamen, sowie ferner Konversations- und Regisseur-Zimmer. Um die Hinterbühne gruppiren sich die Magazinräume für Dekorationen, Möbel usw.; in östlicher Richtung befinden sich eine Requisiten-Ausgabe und ein Probesaal. In der Axe südlich liegt der von der bereits erwähnten Auffahrtsrampe zur Hinterbühne führende Zugang, welcher auch dazu dient, Pferde usw. auf die Bühne gelangen zu lassen.

In der Höhe des ersten Ranges schliessen links und hinten die Ankleideräume für Chorherren und Damen, Magazine für Möbel und Dekorationen, rechts die Geschäftsräume der Intendantur an Bühne und Hinterbühne sich an.

In der Höhe des zweiten Ranges liegen über diesen Räumen die Ballet-Garderoben, Balletsaal, Ankleideräume für Solotänzerinnen, Statistinnen usw., linker Hand und rechter Hand die Werkstätten für die Herren- und Damenschneider, das Tuchmagazin und das Zimmer des Garderobe-Inspektors. Die sonstigen Räume dienen für Reauisiten usw.

Im dritten Rang sind über der Hinterbühne der bis in das Dachgeschoss reichende Malersaal, sowie ferner, von diesem durch den die Räume der beiden Längsseiten verbindenden Korridor getrennt, Magazine für Waffen und Rüstungen angeordnet. Links und rechts befinden sich weitere Garderoben-Magazine, ein Probensaal, die Depots für Modelle und die elektrischen Apparate sowie die Ankleideräume für Militär-, Haus- und Knaben-Statisten.

Der Dachboden über den seitlichen Anbauten des Bühnenhauses ist zu Magazinräumen aller Art verfügbar. Das Bühnenhaus ist mit einem elegant konstruirten eisernen Kuppeldach überspannt, welches, zugleich als Decke und als Tragkonstruktion für die angehängten erheblichen Lasten dienend, eine mustergiltige Leistung unseres einheimischen Ingenieurwesens genannt zu werden verdient. Die Eisenkonstruktion der Bühnenkuppel wurde von der Firma W. Philippi in Wiesbaden, der eiserne Dachstuhl über dem Zuschauerhaus und dem Vestibül von der Firma Schäfer & Bloch in Hamm ausgeführt.

Die Bühneneinrichtung, nach den Plänen des Ob.-Insp. der königl. Theater Brandt in Berlin ausgeführt, kann zur Zeit wohl als die vollkommenste der auf deutschen Theatern vorhandenen Einrichtungen angesehen werden und dürfte auch für weitere Jahrzehnte mustergiltig bleiben. Dieselbe genügt den weitgehendsten bühnentechnischen Anforderungen und zieht gleichsam das Facit einer langen Reihe insbesondere durch die Theaterbrände der letzten Jahrzehnte gewonnenen Erfahrungen und Vervollkommnungen.

Für die Obermaschinerie ist das Prinzip der Ausgleichung durch Gegengewichte durchgeführt, während für die Untermaschinerie hydraulische Kraft verwendet wird. Die Bewegungs-Vorrichtungen können einzeln und verbunden mit beliebiger Belastung und Geschwindigkeit von einem Arbeiter ohne wesentliche Anstrengung in Betrieb gesetzt werden. Der Befehl zur Bewegung der einzelnen Vorrichtungen wird dem Arbeiter durch farbige elektrische Signale ertheilt. Von Wichtigkeit für die Sicherheit des Betriebes ist der Umstand, dass sowohl von der Stelle aus, von welcher die Arbeitssignale ertheilt werden, als auch von dem Arbeiter selbst die ganze Bühne und die Wirkung der angeordneten bezw. ausgeführten Bewegungen übersehen werden können. Alle hydraulischen Bewegungsmaschinen reguliren sich in ihrer Geschwindigkeit und Endstellung durch selbstthätige Abstellvorrichtungen. Diese werden schon bei der Probe nach dem jeweiligen Bedürfniss eingestellt, sodass während der alle ein genaue Funktioniren der Bewegungsapparate auch ohne besondere Sachkenntniss des bedienenden Arbeiters unbedingt gesichert ist. Der im allgemeinen für den Betrieb hydraulischer Bühneneinrichtungen erforderliche Druck von 6 Atm.

wird im vorliegenden Falle noch um 1,5 Atm. überschritten, so dass den weitgehendsten Forderungen an die Leistungsfähigkeit der Hebewerke genügt ist.

Der Bühnenfussboden bezw. dessen Gebälk ruht auf einem System von eisernen Stielen, welche durch Querkonstruktionen entsprechend verbunden sind und zugleich die beiden Balkenlagen der Zwischenböden unterhalb der Bühne tragen. Die Unterbühne besteht demnach aus 3 Geschossen. Sie enthält die hydraulischen Stempel, Rohrleitungen, Steuerungen, überhaupt die Vorrichtungen zur Auf- und Abwärtsbewegung der Versenkungen und der Kassetten.

Hier sind es zunächst die 6 grossen Versenkungen, welche unser Interesse beanspruchen; jede derselben besteht aus einem Plateau von 11 m Länge und 1,20 m Breite, welches auf einem doppelten Gitterträger ruht, der in der Mitte von einem hydraulischen Plungerkolben getragen wird. Eine sinnreiche Drahtseilanordnung sichert ein gleichmässiges Heben und Senken des Podiums auch bei einseitiger Belastung. Jede Versenkung besitzt bei 6 m Hubhöhe eine Tragfähigkeit von etwa 45 Zentnern und wird mittels eines Hebels mit Leichtigkeit gesteuert. Ein besonderes Kupplungssystem von Rohrführungen und Schiebern in Verbindung mit Rollen und Drahtseilen ermöglicht es, je nach Bedarf zwei oder mehre dieser Versenkungen gleichmässig zu bewegen, ohne dass mehr als ein Steuerhebel zu bedienen ist.

Zum raschen Hervortreten oder Verschwindenlassen kleinerer Dekorationsstücke usw. sind ferner für jede Koulissengasse 5 sogen. Kassetten vorhanden, von denen jede Gruppe durch eine besondere hydraulische Aufzugsmaschine bewegt wird und deren Einrichtung derjenigen der grossen Versenkungen gleichkommt.

Ueber der Bühne wölbt sich die erwähnte Kuppel, an deren Tragkonstruktion in rationeller und einfacher Weise der gesammte Schnür- und Rollenboden, die Laufbrücken und Arbeitsgallerien aufgehängt sind. Da sich im Laufe des Winters herausstellte, dass die Dacheindeckung einen genügenden Schutz gegen Schnee und Regen nicht bot, so ist oberhalb des Rollenbodens noch eine besondere Decke aus Asbestplatten in Eisenschienen angebracht worden.

Der Rollenboden trägt die Seilrollen für etwa 75 Prospekt- und Soffittenzüge,9 Beleuchtungszüge, 3 Vordergardinen, 6 Gitterzüge, 2 Panoramazüge und den Horizontzug (mittels welcher letzteren auf der Bühne ein vollständiges Panorama dargestellt werden kann). Alle diese Züge sind durch seitlich geführte Gegengewichte völlig ausbalancirt und können vom Bühnenfussboden aus sowie in jeder anderen Höhenlage mit grösster Leichtigkeit bedient werden. Alle Lastseile sind zur Erreichung möglichster Haltbarkeit und Feuersicherheit aus Stahldraht hergestellt.

Am Schnürboden sind ferner 4 Flugmaschinen angeordnet, mittels deren von zwei Arbeitern der Flugwagen in jeder beliebigen Linie durch die Luft gerichtet werden kann.

Um nöthigenfalls an die aufgehängten Dekorationen und Züge gelangen zu können, ohne dieselben herabzusenken, sind an dem Schnürboden 6 Laufbrücken aufgehängt, welche in jeder Koulissengasse quer über die Bühne gehen und die Arbeitsgallerien mit einander verbinden.

Für Wandeldekorationen in wagrechter Bewegung sind 4 senkrechte Tummelbäume vorhanden, welche je nach Bedarf in die eine oder andere Koulissengasse eingesetzt werden können.

Zur Bewegung der Koulissen dienen 36 eiserne Koulissenwagen mit Spurrollen, welche in dem oberen Geschoss der Unterbühne in eisernen Schienen geführt sind. Oberhalb des Bühnenbodens, welchen diese Wagen mittels Schlitze durchsetzen, sind auf letzteren abnehmbare leichte Eisenrohre angebracht, in welche drehbare, die gerade erforderliche Dekoration tragende Ständer eingestellt werden.

Um die Prospekte aus den theils unter, theils neben der Hinterbühne gelegenen Magazinen sowohl auf die Bühne, als auch nach dem über der Hinterbühne befindlichen Malersaal befördern zu können, sind zwei besondere, von der Firma W. Philippi konstruirte, hydraulische Aufzugsvorrichtungen vorhanden. Dieselben bestehen im wesentlichen je aus einem 18,5 m langen eisernen Gitterträger, auf welchem der Förderkorb in Gestalt einer langen Mulde aus starkem Eisenblech ruht; derselbe bietet Raum zur Aufnahme von drei zusammengerollten Prospekten von 18 m Länge. Diese Aufzüge, welche je 10 Ztr. Tragkraft und 20 m Hubhöhe besitzen, haben sich als äusserst praktisch bewährt, indem sie bei grösster Spannung der Prospekte eine rasche und bequeme Förderung derselben ermöglichen. Auch versteifte Dekorationen, Koulissen, Versatzstücke usw. können mittels dieser Aufzüge in gleicher Weise transportirt werden, indem man sie unterhalb des Förderkorbes anhängt. – Um einzelne Personen verschwinden oder erscheinen zu lassen, sind zwei transportable Versenkungen vorgesehen, welche im Bedarfsfalle an jeder beliebigen Stelle der grossen Versenkungen eingesetzt werden können.

Der eiserne Vorhang ist nach einer von der Firma W. Philippi zum Patent angemeldeten neuen Konstruktion hergestellt. Derselbe hat ein Gewicht von etwa 80 Ztr. und wird ebenfalls durch Wasserdruck bewegt. Die ganze bewegliche Eisenkonstruktion hängt an 6 Stahldrahtseilen, von denen 2 zur Maschine und 4 zu den beiden Gegengewichten führen. Die Bedienung ist infolge des hydraulischen Antriebs eine sehr bequeme und sichere, der Gang ist absolut lautlos und das Anhalten im höchsten und tiefsten Punkte erfolgt völlig stossfrei und sanft.

Die elektrische Beleuchtung der Bühne, ebenso wie die des ganzen Hauses, von der Firma Siemens & Halske in Berlin hergestellt, ist nach dem sogenannten „Dreilampen-System“ eingerichtet worden. Jeder Beleuchtungsapparat besitzt drei Gruppen weiss, roth und blau gedeckter Lampen, von denen je nach der gewünschten Stimmung eine Farbe allein oder zwei und drei Farben zusammen zur Wirkung gelangen können. Ein Regulirapparat gestattet die Erzielung der verschiedenartigsten Beleuchtungseffekte und Abwechselungen derselben ohne merkbaren Uebergang unter leichtester Handhabung durch eine Person.

Zwei Dynamomaschinen, eine Akkumulatorenbatterie nebst dem sonstigen Zubehör liefern den für etwa 2000 Lampen erforderlichen Strom. Für den Betrieb dieser Maschinen, sowie für die Heizung und Lüftung des Gebäudes, welche letztere gleichfalls mit elektrischer Kraft betrieben wird, dienen 3 Dampfkessel mit je 70 qm Heizfläche von Steinmüller & Co in Gummersbach.

Die Dampfheizung wurde von Gebr. Körting in Hannover, die Wasserleitungs- usw. Anlagen wurden von Faas & Dyckerhoff in Frankfurt eingerichtet. Ausser den erwähnten waren noch eine lange Reihe weiterer Firmen bei der Ausführung der mannichfachen Arbeiten thätig. deren Aufzählung hier zu weit führen würde. –

Dieser Artikel erschien zuerst in mehreren Teilen am 13. & 17.08.1898 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „R. B.“.