Vater Bernard

Der alte Vater Bernard war
Mit Ehren drei und neunzig Jahr.
Er schlich so langsam und so schwer
Mit seiner Geig’ im Dorf einher.
Sein Haupt mit weißem Haar geschmückt
Umstrahlte selbst geschaff’nes Glück.

Im Dorfe liebt’ ihn Groß und Klein,
Man lud zu jedem Fest ihn ein.
Man gab ihm stets den schönsten Kranz
Beim Hochzeitsfest und Erntetanz;
Denn Vater Bernard, sanft und gut,
Verscheuchte nie den frohen Muth.

So oft das Herz ihm überfloß
Von Himmelsregungen, ergoß
Verklärten Blick’s sich das Gefühl
Der Andacht in sein Saitenspiel;
Und fromme Lieder schwebten dann
In Geigentönen himmelan.

Und von der Nachbarn biederm Kreis
Saß oft umringt der fromme Greis;
Dann blickte zu der Sternen Bahn
Sein Auge gläubig himmelan,
Vor dem der Flor der Zukunft wich;
Das tiefste Dunkel war ihm Licht,

Den Finger deutsam auf den Mund,
Macht so er seinen Horchern kund
Wie man ein frommes Leben leb`
Ein glücklich, frohes Ziel erstreb`;
Und ferner Zeiten Mißgeschick
Bekundet er mit Seherblick.

Als seines Lebens Vorhang fiel,
Verstummte zwar sein Saitenspiel:
Doch klingt geheimnißvoll sein Wort
Im Volke unvertilgbar fort;
D`rob senkt der Spötter stumm den Blick,
Der Zweifler tritt beschämt zurück.

Daß Gott als Seher ihn bewährt,
Hat uns die Jetztzeit ja gelehrt.
Phllosophie und Götzenthum.
Sie stoßen Bernards Wort nicht um;
Denn Alles spricht; „Jetzt sehn wir’s klar
Was, er gesagt, das wurde wahr.

Ihn zierte zwar kein Erdenstand;
Doch birgt sehr oft ein schlicht Gewand
Ein edles Herz von besserm Kern,
Als jenes unter goldnem Stern.
So tön` auch ihm in’s stille Grab
Ein herzlich: „Ruhe sanft!“ — hinab.

Umweht von Frühlings-Blüthenduft
Entsteigt sein Geist der stillen Gruft,
Und tragt ein Warnungs-Genius
Durchs deutsche Land des Schicksals Schluß.
Entflieht den Lasterwegen gleich,
Ruft er, und kehrt zur Ordnung euch.

Wer auf des Warners Ruf nicht hört,
Enbehrt des Mannes höchsten Werth;
Ihm wird des Sehers Geigenklang
Zum traurig-düstern Grabgesang,
Den er, vom eiteln Sinn bethört,
Zum Volkertod heraufbeschwört.

Doch wer ein Mann, nach Wahrheit ringt,
Dein Volkswohl gern ein Opfer bringt,
Wer kühn den Ernst der Zeit erfaßt,
Und vor der Zukunft nicht erblaßt:
Dem schlagt sein Herz in hoher Lust,
Und Friede wohnt in seiner Brust.

Dies ist ein Auszug aus dem Büchlein “Spielbähn, der Prophet”, welches von Wilhelm Schrattenholz geschrieben und 1848 erstmals veröffentlicht wurde. Das Bild ist ein Beispielbild und nicht im Buch enthalten. Mehr Infos dazu hier.

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Inhaltsverzeichnis des kleinen Buches “Spielbähn, der Prophet” von Wilhelm Schrattenholz
Verwahrung
II. Vater Bernard
III. Spielbähn
IV. Beweise für die Sehergabe Spielbähns
V. Prophezeihungen Spielbähns
VI. Erläuterungen zu den Bernard’schen Prophetien
VII. Schlußbelege